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Hielscher, Friedrich
31.5.1902 - 6.3.1990

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Viereck Ina Schmidt, 2005

 

 

Biographie
Literatur

Hochzeit von Gertrud Daumann und Friedrich Hielscher 1.1.1940

 

 

Biographie

Friedrich Hielscher wurde am 31.5.1902 in Plauen/Vogtland als Sohn von Gertrud Hielscher, geborene Erdmenger, und des Kaufmanns Fritz Hielscher geboren. Hielscher mit seinen Schwestern und ElternSeine beiden Schwestern Margarethe und Ilse kamen 1905 und 1908 auf die Welt. Seine Schulkarriere beendete Hielscher 1919 mit dem Notabitur, dem einige Wochen als Freiwilliger im Grenzschutz im Osten der Weimarer Republik vorangegangen waren. Anschließend trat er am 10. Juni 1919 in ein Freikorps ein und kämpfte an der Oder gegen polnische Soldaten. Aus der Perspektive der 50er Jahre meinte er rückblickend, daß er die Polen damals als Feinde betrachtete, die er gerne erschießen wollte, wozu er glücklicherweise aber nicht kam. Ende 1919 wurden die Freikorps in die Reichswehr eingegliedert. Als sich sein Regiment 1920 den Putschtruppen der Brigade Ehrhardt unter Kapp anschließen wollte, was er ablehnte, verließ er es.


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Studium und Politik

Bei der Wahl des Studium, er schrieb sich im April 1920 in Berlin für Jura, nicht für Theologie ein, widersetzte sich Hielscher dem Wunsch seiner Mutter. Dessen ungeachtet erhielt er für den eingeschlagenen Weg ihre Unterstützung. Die Monarchistin engagierte sich mittlerweile fü Deutsche Volkspartei (DVP) Gustav Stresemanns, 1920 wurde sie Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses im Zentralvorstand. Hielscher unterstützte seine Mutter im Wahlkampf für die Partei im Kreis Frankfurt an der Oder, indem er für sie Aufkleber klebte. Sie versuchte ihm im Gegenzug erste politische Beziehungen zu verschaffen. Auf ihren Rat hin trat er 1921 zwar nicht der Partei, aber dem Reichsklub der DVP bei. Aufgrund dessen erhielt er des öfteren Tribünenplätze für die Reichstagssitzungen. Daß er schon zu dieser Zeit einen demokratischen Parlamentarismus ablehnte, wird deutlich, wenn er in seiner Autobiographie vom Reichstag als einer "Gespensterversammlung" spricht. Von dieser habe niemand etwas hören wollen, und es habe die menschliche Ansprache gefehlt, "das von Mann zu Mann Packen, nach dem draußen verlangt wurde, das konnte hier keiner, das wollte hier keiner, und davon wußte hier", bis auf wenige Ausnahmen, keiner. Nachdem Gertrud Hielscher ihren Sohn in die Politik eingeführt hatte, fand sie es nicht mehr notwendig, sich selbst auf diesem Feld weiterhin zu engagieren.

Während seines Studiums von 1920 bis 1924 trat Friedrich Hielscher dem Corps Normannia, einer schlagenden Verbindung, bei, das wie andere Corps dem Kösener S.C. angegliedert war. In dieser Zeit besuchte er außerdem zwei Jahre Vorlesungen an der Hochschule für Politik, u.a. die von Theodor Heuss, und nahm an Sitzungen des "Außenpolitischen Komitees der Deutschen Gesellschaft 1914" teil. Sowohl hier als auch im Reichsklub der DVP vertiefte Hielscher seine Kenntnisse durch den Kontakt zu Vertretern von Industrie, Militär und Politik. 1924 trat Hielscher aus der evangelischen Kirche aus, 1925 schloß er sein Referendariat ab. Zur gleichen Zeit begann er mit einer Doktorarbeit über Die Selbstherrlichkeit. Versuch einer Darstellung des deutschen Rechtsgrundbegriffs, die später im Vormarsch-Verlag erschien.

Da er vom Untergang des Abendlandes, den Oswald Spengler 1918 veröffentlichte, sehr beeindruckt war, wollte er sich in seiner Doktorarbeit, neben Hegel und Nietzsche, auch an ihm orientieren. Schließlich fand er in Prof. Otto Koellreutter jemanden, der dieses akzeptierte, und zog daraufhin nach Jena. Ein Empfehlungsschreiben von August Winnig trug dazu bei, daß er Spengler in München besuchen und mit ihm über dessen Gedanken diskutieren konnte. In diesem Gespräch prophezeite ihm der Philosoph: "Übrigens tröstet mich eins bei Ihrer Art zu fragen. Ein Akademiker werden Sie nicht werden. Für den Professor sind sie verdorben. Sie bringen den dazu nötigen Mangel an Geist nicht auf. Und hüten Sie sich vor diesem Geschlechte. Es ist erschreckend unbedarft und darum nachtragend und hinterhältig. Versuchen Sie nie die Dozentenlaufbahn. Sie wissen nicht, was ein Kollege ist. Ich habe Sie gewarnt". Später hat Hielscher Spengler nur noch einmal wiedergesehen, als dieser 1929 im Nietzsche-Archiv auf der Tagung der Nietzsche-Gesellschaft die große Festrede hielt. Der starke Eindruck, den er bei der ersten Begegnung gewonnen hatte, war dahin, wozu wohl auch die Befremdung beitrug, die die Tagung in ihm auslöste: "Das war kein Rat der Fürsten im Geiste, kein Kreis der Auserwählten oder der Entflammten oder der Hungrigen, das war eine Gesellschaft des Geldes und des Namens, der Wissenschaft und der Gelehrsamkeit. Das war ein Verein von Großbürgern des Denkens und der Wirtschaft".

Während Hielscher mit seiner Dissertation beschäftigt war, besuchte er jede Woche das Nietzsche-Archiv in Weimar. Im Mai 1925 habe er sich in dieser Stadt zum ersten Mal aufgehalten, als er sich in Jena bei der Fakultät einschreiben ließ, erinnerte er sich. Er habe den Park besucht, sei auf Goethes Spuren gewandert und habe schließlich die Bekanntschaft von Elisabeth Förster-Nietzsche gemacht: "Ich war zum Essen eingeladen, und sie empfing mich in dem großen Zimmer, in welchem sie auch mit ihrem Bruder so lange gesessen hatte, wie es noch möglich war. Vor mir stand eine freundliche und vergnügte Greisin, die auf dem grauen Haare ein schwarzes Spitzenhäubchen trug, klein, mit zarter Nase und einem allezeit spottbereiten Munde, streitbaren Äuglein und feinen, langfingerigen Händen. Und ich muß alle enttäuschen, die jetzt von mir einen Lästergesang erwarten. Gewiß, sie hatte ihre Grenzen, aber sie wußte es auch und konnte sich entzückend über ihre eigene Art lustig machen, in der Weise unserer Großväter andeutend, was sie meinte, und mit leisem Blinzeln des unausgesprochenen Einverständnisses bei der anzüglichen Rede sich listig vergewissernd. Freilich war sie ihrem Bruder nicht gewachsen. Aber wer wäre das damals gewesen? Doch hat sie, als niemand ihn ernst nahm und niemand ahnte, welcher Geist hier aufgestanden war und allein blieb und litt und schweigend zu Grunde ging, weil ihm niemand antwortete: da hat sie sein Erbe bewahrt und überliefert". Auch im Rückblick fand Hielscher kein kritisches Wort und behauptete sogar, daß ihr pronationalsozialistisches Gebaren nur Taktik war, um das Archiv zu schützen.

1926, nach dem Abschluß seiner Dissertation, arbeitete Hielscher noch kurze Zeit im Staatsdienst, bis er sich im November 1927 endgültig davon verabschiedete, trotz schwerer Bedenken wegen der finanziellen Situation seiner Eltern, denen es mit ihrem Einzelhandelsgeschäft immer schlechter ging. Da er nun die zuvor anvisierte Richterlaufbahn nicht eingeschlagen hatte, konnte er sie in den folgenden Jahren, in denen er ständig selbst am Rand des Existenzminimums lebte, nicht finanziell unterstützen. Während seiner Referendariatszeit stellte Hielscher, wohl noch unter dem Eindruck der Beschäftigung mit seinem Vorbild Nietzsche in seiner Dissertation, einen Antrag auf Namensänderung. Seine Eltern hatten ihm die Vornamen Fritz Johannes gegeben. Er wollte fortan aber Hans Friedrich heißen, was ihm bewilligt wurde.

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Religionsgründer und Politischer Publizist

Unter dem noch einmal reduzierten Namen Friedrich Hielscher begann er 1926 seine Karriere als politischer Publizist beim Arminius. Nach dessen Einstellung (1927) engagierte er sich in der Alten Sozialdemokratischen Partei (ASP) und übernahm 1928 die Schriftleitung des Vormarsch, eines ehemaligen Wiking-Blattes, das Kapitän Ehrhardt und seiner Gruppe gehörte (s.u.). Daneben schrieb er im Widerstand, im Morgen, im Tag, in den Kommenden, im Rezensionsblatt Ja und Nein, in den Blättern für deutsche Philosophie, den Hamburger Nachrichten, in Eckart - Blätter für evangelische Geisteskultur, in den Nationalsozialistischen Briefen, im Stahlhelm, im Stahlhelm-Sender und dessen Nachfolgeorgan Welt und Welle. Außerdem veröffentlichte er bis 1934 mehrere Aufsätze in Sammelbänden.

Hielscher klagte oft darüber, wie schwierig es sei, ohne Mitgliedschaft in einem Verband oder einer Partei etwas in anderen Publikationsorganen als seinen hauseigenen zu veröffentlichen. Da er von seiner publizistischen Arbeit und seinen Vorträgen nur schlecht leben konnte, hatte er ständig Mietschulden und mußte sich Geld von seinen Freunden leihen, u.a. von Ernst Jünger. Besorgt war er zu Beginn der 30er Jahre aber nicht nur um seinen eigenen Lebensunterhalt, sondern auch um den seiner Schwester Ilse, die während ihres Jurastudiums einige Zeit bei ihm in Berlin wohnte. So nahm er jede Einladung von Freunden und Bekannten erfreut an, die ihm anboten, für kürzer oder länger bei voller Verpflegung bei ihnen zu wohnen. Vom Herbst 1929 bis zum Frühjahr 1930 lebte er in Dolzig, Niederlausitz als Gast seines Freundes "Petiscus" (d.i. Johannes Karl Martin Pietschke), der dort als evangelischer Pfarrer tätig war, und schrieb in dessen Haus sein wichtigstes Buch, Das Reich, welches 1931 erschien.

Freunde waren es auch, die die Veröffentlichung ermöglichten. Franz Schauwecker gelang es, den mit dem Stahlhelm verbundenen Frundsberg-Verlag für das Werk zu interessieren, und ihn sogar noch dafür zu gewinnen, ein Periodikum gleichen Titels, in einem extra hierfür gegründeten Unterverlag gleichen Namens, unter Hielschers Leitung herauszubringen. Neben den eigentlichen Kreismitgliedern Friedrich Wilhelm Heinz, Franz Schauwecker, Curt Hotzel, Martin Bochow, Ernst von Salomon und Ernst Neumann schrieben hier unter anderem: Franz Fromme, ein Spezialist für Irlandfragen, Georg Dietwede, der für den flandrischen Nationalismus zuständig war, und "Jasper Hahnebutt", vermutlich ein Pseudonym für Erwin Topf. Mit vier Beiträgen war außerdem Ludwig Alwens vertreten, der mit Hielscher schon in der Zeit des Arminius und des Vormarsch zusammengearbeitet hatte. Das Blatt erfüllte zwar die Erwartungen nicht, die sich daran geknüpft hatten, doch konnte es Hielscher, nachdem er es auf Maschinenschrift und hektographierte Vervielfältigung umgestellt hatte, immerhin bis Januar 1933 halten. Das Ende fiel nicht zufällig mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten zusammen, da Hielscher es vorzog, die Zeitschrift einzustellen, bevor sie verboten wurde. Im Reichsverlag erschienen neben dem Buch Hielschers, für das übrigens noch zwei Fortsetzungsbände vorgesehen waren, auch weitere Werke aus seinem Kreis: Friedrich Wilhelm Heinz' Die Nation greift an (1933), Martin Bochows Was wird aus Deutschland? (1932) und Curt Hotzels Geld Macht Geschichte (1933), zu dem Hielscher das Vorwort und einige Kapitel beigesteuert hat.

Hielscher begnügte sich indes nicht damit, seine Weltanschauung in (überwiegend rechten) Publikationen zu verbreiten. Er führte häufig Gespräche mit verschiedenen Gruppen der Rechten, darunter auch solchen, die dem linken Flügel der NSDAP angehörten, aber auch mit denen der politischen Mitte und der Linken sowie mit Vertretern von sogenannten unterdrückten Völkern, um dort für seine Ideen zu werben und Anhänger zu gewinnen und nahm immer wieder Einladungen zu Vorträgen und Diskussionen an, die von den unterschiedlichsten politischen und weltanschaulichen Strömungen und Vereinigungen an ihn ergingen: von Wehrverbänden wie dem Wehrwolf, von Hamburger Kommunisten, von unterschiedlichen Jugendbünden wie den Pfadfindern u.a., von Studentenschaften, von der Gesellschaft für Deutsches Schrifttum, vom schlesischen und südwestdeutschen Rundfunk und von den Köngenern. Weitere Vorträge von Hielscher fanden neben den bereits erwähnten Veranstaltungsorten auch im Rathaus, im Preußischen Herrenhaus und in diversen Cafés in Berlin sowie in Köln, Aachen, München, Danzig, u.a. Orten statt. Außerdem unternahm er Vortragsreisen durch einige der von ihm so genannten Reichsstämme wie Österreich, Schwaben und Schlesien.

Von den Vertretern des Christen- und des Judentums wurde Hielscher mit seiner heidnischen Religion ebenfalls ernst genommen. In der Berliner Singakademie debattierte er mit dem evangelischen Theologen Günther Dehn und dem Jesuiten Erich Przywara, in Aachen mit dem Jesuiten Friedrich Muckermann und in der evangelischen Zeitschrift Eckart mit dem Studentenpfarrer August Ferdinand Cohrs. Mit seiner Reichstheologie setzten sich Muckermann und Przywara auch in konfessionellen Zeitschriften auseinander. Zu Vertretern aller dieser Religionen, bspw. zu seinem Freund Pietschke (1900-1945), zu dem exkommunizierten Katholiken Joseph Wittig (1879-1949), zu Cohrs, zu Jesuiten, zum jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber und anderen hatte Hielscher teilweise bis zu ihrem Tod persönliche Kontakte.

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Im Nationalsozialismus eingebunden - Widerstand

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme veränderten sich die Lebensbedingungen Hielschers drastisch. Zwar konnte er noch zu Beginn des Regimes einige Artikel in den Zeitschriften Stahlhelm und Stahlhelm-Sender unterbringen, wo sein Anhänger Curt Hotzel als Redakteur arbeitete. Mit der 1935 erfolgten Liquidierung des Wehrverbandes und der gleichzeitigen Auflösung des Stahlhelm-Verlages entfiel diese Möglichkeit jedoch, so daß Hielscher sich nach anderen Verdienstquellen umsehen mußte. Ein Ausweg eröffnete sich, als sein Anhänger Wolfram Sievers Mitarbeiter des "SS-Ahnenerbes" (AE) wurde, das sich mit germanischer Brauchtums- und Vorgeschichtsforschung befaßte. Ab Mitte der 30er Jahre verschaffte er Gertrud und Friedrich Hielscher und anderen Männern seiner Gruppe Stellen in dieser Institution und stellte Hielscher und andere während des Krieges zeitweise "unabkömmlich" (uk), womit er nicht nur ihren Lebensunterhalt, sondern auch ihre Widerstandstätigkeiten sichern konnte. Als aber Himmler dem AE 1942 völlig unerwartet auch das "Institut für Wehrwissenschaftliche Zweckforschung" unterstellte, verstrickte sich vor allem Wolfram Sievers damit in die Verbrechen des Regimes. Er blieb nämlich auf seinem Posten, weil Hielscher ihn und seine Befugnisse weiter für seine Widerstandsgruppe nutzen wollte. Daß Sievers sich wegen des angestrebten Gesamtziels der Gruppe, nämlich dem Sturz des NS-Regimes, nun mitschuldig an dem Tod von Menschen machte, erfuhren die meisten Angehörigen des Kreises erst nach dem Krieg.

Hielschers Kreis engagierte sich in einem eigenen Widerstand Hielscher überzeugte dabei, einige seiner Anhänger, in NS-Organisationen einzutreten, um von innen heraus gegen die Partei zu arbeiten. Durch Zusammenarbeit mehrerer Frauen und Männer des Kreises, die u. a. im "Amt Ausland/Abwehr" des Oberkommandos der Wehrmacht, im AE und im "Reichssicherheitshauptamt" arbeiteten, konnten Menschen, die der KPD angehörten und/oder aus einer jüdischen Familie stammten, u.a. Fritz Heinsheimer, Karl August Wittfogel und dessen Frau Olga, Alfred Kantorowicz und Therese Richter, gerettet werden. Die Widerstandsgruppe versuchte Kontakt zu den Alliierten herzustellen, hatte auch Kontakte zu Axel von dem Bussche, Werner von Haeften und Claus Graf Schenk von Stauffenberg und arbeitete eng zusammen mit anderen Widerständlern wie Theodor Haubach, Hans Jürgen Graf von Blumenthal, Fritz Dietlof Graf v. der Schulenburg, Ferdinand Freiherr von Lüninck und Adolf Reichwein. Paul Widany, ein Mann des Hielscher-Kreises, beteiligte sich an zwei Anschlagsversuchen auf Hitler vor dem 20.7.1944 und war auch für diesen Tag mit eingeplant. Nach dem Attentat wurden Hielscher, Priebe und Widany verhaftet. Letzterem konnte nichts nachgewiesen werden, Priebe wurde nach etwas längerer Haft zur "Frontbewährung" entlassen. Hielscher sagte, trotz Folter, nicht aus und kam schließlich, dank der Einflußnahme Wolfram Sievers', wieder frei.

Da Hielschers Konzept des Widerstandes nicht erfolgreich war, sein Führungsstil und das Verhalten in Verbindung mit Sievers kontrovers von den Frauen und Männern seines Kreises diskutiert und kritisiert wurden, weshalb einige enttäuscht und wütend reagierten, verließen mehrere der vorher ungefähr 50 Männer umfassenden Widerstandsgruppe, gemeinsam mit ihren Frauen, nach Kriegsende endgültig diesen Zirkel. Dies hinderte Hielscher jedoch nicht, entgegen seiner sonst üblichen Praxis des Kontaktabbruchs zu Frauen und Männern, die seine Gruppe verlassen hatten, in den späteren diversen Entnazifizierungsverfahren für sie einzutreten. Während des Sievers-Prozesses, der ihn persönlich stark mitnahm, verkündete er seine Absicht, sich von jeglicher politischer Arbeit zurückziehen und zukünftig nur noch in religiöser Hinsicht wirken zu wollen. Sievers wurde 1948 zum Tode verurteilt und gehängt.

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Private Seiten

Zum persönlichen Schicksal Hielschers seit 1933 ist nachzutragen, daß er gleich nach dem Regierungsantritt Hitlers eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen mußte, weil er als regimefeindlich eingestuft worden war; auch sein Buch Das Reich wurde verboten. Kurz darauf zog Hielscher zusammen mit Kurt Daumann, einem Mitglied seines Kreises, in die Lutherstraße in Berlin. Über Daumann lernte er dessen Schwester Liese-Lotte Gertrud (geb. am 3.4.1917) kennen, mit der er einige Jahre später, im Juli 1939, die Ehe schloß. Zu diesem Zweck mußte er sie allerdings, mit ihrer Einwilligung, aus dem Haus ihrer Eltern entführen, da diese wegen des Altersunterschieds gegen die Hochzeit waren. Sie stammte wie ihr Bruder aus Hamburg und studierte seit 1937 Mathematik, Physik und Chemie; nach ihrer Heirat brach sie ihr Studium ab. Erst im Anschluß an die Feierlichkeiten erfuhr sie von Hielschers bisexueller Orientierung, weshalb sie ihre Vermählung zunächst bereute, sich dann aber damit arrangierte. Wie ihr Mann lebte auch sie etwas später einige homosexuelle Beziehungen neben der Ehe. Gertrud Hielscher verhielt sich insbesondere vor Kriegsende gegenüber ihrem Mann noch sehr unterwürfig, wie dieser es aufgrund seines Frauenbildes auch erwartete. Über einen Besuch von Gertrud und Friedrich Hielscher hielt Gretha Jünger, die erste Frau Ernst Jüngers, folgenden Eindruck fest: "Siehe da: auch Bogumil läßt sich sehen mit seiner jungen Frau, die mir recht gut gefällt bis auf die schweigende Anbetung, die sie ihrem Gemahl zollt, mit der sie jedes Wort von ihm als ein sakrales deuten und empfinden mag. Dies ist gewiß eine lobenswerte Eigenschaft, vor der mich lediglich meine Unzulänglichkeit bewahrt, denn trotz heftiger Selbstermahnungen bringe ich es nicht über mich, dem unvergleichlichen Geschlecht die ihm gebührende Hochachtung in dieser Form darzubringen. Bogumil indessen bekam sie sehr gut. Er entfaltete neben seinen vielen Tabakspfeifen und Rauchwolken zugleich eine zarte Aura patriarchalischer Zufriedenheit, und er saß, von vielen Kissen umgeben, wie ein alter und wohlwollender Buddha in der Mitte des Sofas, gelegentlich mit dem langen Pfeifenstiel, um den sich eine urväterlich-grüne Troddel wand, auf seine Tasse weisend. Dies bedeutete kurz und schlicht, daß sie gefüllt werden müsse. Wenn wir uns auch nicht in allem einig waren, Bogumil und ich, fanden wir uns doch in unserer Abneigung gegen alles, was je ein Braunhemd getragen hatte und tragen würde".

Friedrich Hielscher war zwischenzeitlich von der Lutherstraße in die Wohnung Hermann Priebes in Kaltennordheim und von dort mit ihm nach Meiningen gezogen. Die Gestapo hatte ihn zuvor 1935 in Berlin zur Befragung aufgesucht, weil er wegen wechselnden Männerbesuchs angezeigt worden war. Obwohl er sich mit seiner religiösen Gruppe, die nun polizeilich gemeldet wurde, was die Tarnung nach außen hin noch verbesserte, herausreden konnte, erschien es ihm jetzt sicherer, die Hauptstadt für eine Weile zu verlassen. Nach seiner Heirat verlegte er 1940 seinen Wohnsitz nach Potsdam, wo er mit seiner Frau Gertrud und deren Bruder lebte. Einige Jahre später wurde fast ihr gesamter Hausrat sowie der größte Teil der Bibliothek, der Materialsammlung und der Korrespondenz durch einen Bombenangriff zerstört. Aufgrund der Sorgen und der großen Belastung, die Gertrud Hielscher nach der Verhaftung ihres Mannes ertragen mußte, u.a. hielt sie auch die Verbindungen unter den Männern der Widerstandsgruppe aufrecht, erlitt sie 1944 eine Fehlgeburt und konnte anschließend keine Kinder mehr bekommen.

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Nachkriegszeit

Nach Kriegsende wohnte das Ehepaar Hielscher zunächst in Marburg, dann in Münnerstadt, ab dem 17.9.1964 unter kärglichen Bedingungen auf einem 1038 m hoch liegenden Einödhof bei Schönwald im Schwarzwald, der den Namen 'Rimprechtshof' erhielt. Zuvor hatte Hielscher noch einen Versuch gestartet, eine religiös ausgerichtete Dorfgemeinschaft zu realisieren, in der neben seinen Gemeindemitgliedern auch andere Menschen, die er kannte, leben und arbeiten sollten, u.a. in landwirtschaftlichen, handwerklichen, künstlerischen und dichterisch-schriftstellerischen Berufszweigen. Nachdem dieses Projekt gescheitert war, lebte er getrennt von den übrigen Kreisangehörigen als "Alter vom Berge" allein mit seiner Frau auf dem Hof. Während er sich, abgesehen von regelmäßigen Spaziergängen, den ganzen Tag mit Beten, Ausarbeitungen, Liturgik und Dogmatik für sein Kirchenvolk beschäftigte, mußte sie mit kärglichsten Mitteln die schwere Hausarbeit bewältigen. Sie schleppte Wasser zum Wäschewaschen, zur Körperreinigung und zum Kochen, das sie im Winter auch noch auftauen mußte, weil sie nur eine Quelle zur Wasserversorgung hatten; sie mußte regelmäßig Holz zum Kochen, Backen und Heizen hacken, das Brot selber backen und möglichst viel Gemüse und Obst einwecken, um die langen Wintermonate auf dem Berg überstehen zu können. Regelmäßig lief sie 10 km zum nächsten Dorf und trug alleine die Einkäufe nach Hause. Im Winter war es zudem ihre Aufgabe, die Holzöfen in den Zimmern zu heizen und den Schnee zu räumen. Zur Haushaltsführung gehörte es auch, Friedrich mehrere Male am Tag seine Pfeife zu säubern und wieder anzuzünden, die er bequem durch ein Loch im Fußboden von seinem im ersten Stock liegenden Arbeitszimmer zu ihr nach unten in die Küche herablassen und wieder heraufziehen konnte. Erst einige Jahre nach ihrem Umzug auf den Berg sah er es wohl ein, daß ihre Arbeitsbelastung ein wenig reduziert werden müsse, und genehmigte es ihr, sich von einer Freundin einen alten VW Käfer schenken zu lassen, mit dem sie nun einkaufen fahren, und, was für ihn außerdem sehr bequem war, ihn zu seinen Vorträgen in Volkshochschulen oder zu Kirchentagen chauffieren durfte, da er keinen Führerschein hatte. Söhne seiner Kirchenkreisangehörigen mußten nun bei Besuchen Holz hacken oder seine Schuhe putzen. Fernseher waren für den gesamten Kreis tabu, ein Radio wurde Gertrud von ihrem Mann erst zugebilligt, als sie die Einsamkeit auf ihrem Hof zunehmend depressiver machte. Als sich gegen Ende der 60er Jahre einige Frauen und Männer des Kreises gegen Friedrich Hielscher aufzulehnen begannen und nicht mehr kritiklos alle seine Vorstellungen und Anordnungen akzeptierten und befolgten, kauften sich die ersten nun auch Fernseher, Kühlschränke und Waschmaschinen. Technische Geräte galten nämlich seit der Nachkriegszeit als etwas, was möglichst gemieden werden sollte. Jedoch zeigte sich auch hier die geschlechtsspezifische Unterschiedlichkeit, indem Männern natürlich erlaubt war, im Rahmen ihrer beruflichen Aktivitäten Maschinen, Motorräder oder Autos zu benutzen, von den Frauen aber erwartet wurde, den Haushalt und Einkauf ohne technische Hilfsmittel zu bewältigen. Die jüngeren Angehörigen der Gruppe, die erst nach dem Krieg dazugekommen waren, und von denen auch einige Frauen einen Beruf ausübten, hatten sich, im Gegensatz zu den Älteren, sowieso nicht so streng an diese Regeln gehalten, wenngleich viele es geheimhielten, daß sie solche Geräte besaßen. Die Kirchenangehörigen lebten nun alle verteilt über das ganze Bundesgebiet und sahen sich, außer bei wenigen privaten Besuchen oder Treffen von einigen Personen, die regional dichter beisammenwohnten, nur einmal im Jahr auf den Kirchen- bzw. Godentagen, was die Kontrolle des täglichen Lebens einschränkte.

Den Kontakt zu seiner Gemeinde hielt Hielscher, obwohl er technische Geräte eigentlich ablehnte, durch häufige und lange Telefonate und durch wechselseitige Besuche aufrecht sowie durch exzessive, phasenweise täglich ergehende Anordnungen, dogmatische Klarstellungen und rituelle Spezifikationen, die er, getippt von Gertrud, seinem Kirchenvolk zukommen ließ. Nach dem Krieg gewann Gertrud Hielscher allerdings, im Vergleich zu der Zeit vor 1945, zunehmend an Selbstvertrauen. Sie setzte dann auch ihre Forderung nach einer stärkeren Position in der religiösen Gruppe durch, gründete eine eigene Frauengruppe im Hielscher-Kreis, in der sie auch über die Frauenbewegung und deren Texte diskutierte, und unterhielt sich dann ebenfalls sehr offen mit ihrem Mann über ihre Probleme in der Ehe.

Seinen Lebensunterhalt finanzierte das Ehepaar Hielscher durch zeitweise Bezüge von Sozialhilfe und Wohngeld, Abgaben (Kirchensteuern) der Kreisangehörigen, durch Vorträge Friedrich Hielschers an Volkshochschulen in der ganzen Bundesrepublik, mit denen er im Jahr 1951 bspw. 130 DM verdiente, einige wenige Artikel für Zeitungen und Zeitschriften, sowie Arbeiten für sein studentisches Corps, für die er nach dem Ende seiner Tätigkeit eine kleine Rente erhielt. Neben ihrer Arbeit im Haushalt und als Sekretärin ihres Mannes war Gertrud Hielscher einige Zeit nach Kriegsende auch im Marburger Studentenwerk tätig.

Der Schwerpunkt des Nachkriegsengagements der Hielschers lag auf ihrer Freikirche, die allerdings nicht in das Amtsregister eingetragen war. Ihr schlossen sich im Laufe der Jahrzehnte einige neue Frauen und Männer an, doch schieden auch Teile der Gruppe (ca. 20) wieder aus und gründeten eine eigene Freikirche (1970). Gründe hierfür waren u.a. Hielschers autoritärer Führungsstil, seine dogmatischen Ansichten, der hierarchische Aufbau des religiösen Kreises sowie die patriarchalischen Geschlechterverhältnisse und Geschlechtsrollenbilder von Menschen und GöttInnen. Auch Kurt Daumann schied mit seiner Frau Friederike aus und hatte danach weder Kontakt zu Friedrich noch zu seiner Schwester Gertrud Hielscher, da diese sich an das von ihrem Mann aufgestellte Kontaktverbot zu allen "Abtrünnigen" hielt. Friedrich Hielscher nahm letztlich alle Distanzierungen von seiner Kirche wohl nicht allzu schwer, da er der Ansicht war, daß ‚eine Sache umso besser sei, je weniger Anhänger sie habe'. Die letzte Abspaltung aller bis dahin noch bei ihm verbliebenen Mitglieder (ca. 15) erfolgte 1984, als Friedrich Hielscher neben anderen Änderungen auch seine zuvor als Dogma verkündete Kirchenregel, nach der eine in ihrer Kirche geschlossene Ehe nur wegen besonders schwerwiegender Gründe trennbar sei, aus persönlichem Interesse heraus aufheben wollte. Er hatte sich nämlich in eine jüngere, aber auch verheiratete Frau aus seinem Kreis verliebt. Seit den 30er Jahren galt jedoch nicht nur dieses Kirchengesetz der Nichttrennbarkeit der Ehe, es war außerdem die Regel, daß nur homosexuelle Beziehungen neben dieser Ehe erlaubt seien. Dies zu ändern sowie seine anderen immer "selbstherrlicher" werdenden Verhaltensweisen weiter mitzutragen, waren seine letzten JüngerInnen nicht bereit, weshalb sie ihm die Gefolgschaft aufkündigten. Die Frau, in die Friedrich Hielscher sich verliebt hatte, interessierte sich jedoch nicht für eine engere und dauerhafte Beziehung mit ihm, so daß er bei seiner Frau Gertrud blieb.

Wenn Friedrich Hielscher nicht mit der Vor- und Nachbereitung von Kirchentagen und dem Austausch mit seinem Kreis beschäftigt war, nahm er alte, außerkirchliche Kontakte wieder auf, wie denjenigen zu Theodor Heuss, mit dem er sich über eine längere Zeit hinweg schrieb und mit dem er sich in den 50er Jahren mehrmals traf, oder zu Karl August Wittfogel, Karl Otto Paetel, Ernst Jünger und Alfred Kantorowicz, mit denen er in Korrespondenz stand. Daneben schrieb oder feilte er an diversen Großprojekten, von denen keines je das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollte. Er entwarf, auf den Spuren Goethes, eine eigene Farbenlehre, bastelte an einer "Metaphysik der männlichen Künste und weiblichen Zuchten", arbeitete an einer "Theologia naturalis" und Abhandlungen zur Willens- und Handlungsfreiheit, außerdem dichtete er und betätigte sich endlich auch literarisch, indem er das Nibelungenepos in immer neue Dialoge brachte: eine erste Fassung ging Ernst Jünger schon im Dezember 1949 zu, zehn Jahre später war das Manuskript auf zwölfmal zwölf Dialoge angeschwollen und offensichtlich noch immer kein Ende.

Erst in den 80er Jahren schwanden seine Kräfte. Er erkrankte an Blasenkrebs und starb am 6.3.1990. Da alle seine Kreismitglieder, also auch die Goden, die als einzige neben ihm in seiner Kirche für die zeremoniellen Handlungen zuständig waren, ihn verlassen hatten, konnte von diesen niemand ein Beerdigungsritual für ihn durchführen. Hielscher und Frau, c.1980Als er seinen Tod herannahen fühlte, bat er deshalb einen befreundeten katholischen Pastor das zu übernehmen, obwohl er nicht zum Katholizismus übergetreten war. Daß dann dieser Pastor und nicht Gertrud Hielscher die Zeremonie absolvierte, ist nicht nur typisch für den Katholizismus, sondern auch für die bis zuletzt nicht ebenbürtige Position der Frauen in Hielschers religiöser Gemeinde. Gertrud Hielscher erhielt nach dem Tod ihres Mannes wieder einige Besuche von ehemaligen Angehörigen des Kreises, so von ihrem Bruder und dessen Frau und Wellmanns, die ihr halfen, den Nachlaß ein wenig zu ordnen und versuchten, ihr etwas emotionale Unterstützung zu geben. Doch ihre seelisch-geistigen Kräfte ließen plötzlich nach und sie kam bald darauf stark verwirrt ins Pflegeheim. Nach ihrem Tod am 7.3.2003 wurde sie im Grab ihres Mannes beigesetzt.


 

Literatur

Ina Schmidt, Der Herr des Feuers. Friedrich Hielscher und sein Kreis zwischen Heidentum, neuem Nationalismus und Widerstand gegen den Nationalsozialismus (Köln: SH-Verlag, 2004).


Ende