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Kessler, Harry Graf
bis 1879: Harry Clemens Ulrich Kessler

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Biographie

Publizist, Diplomat, uneingestanden homosexuell, einer der wichtigsten Kunstförderer des frühen 20. Jahrhunderts und ein Mann in einem außergewöhnlichen Beziehungsgeflecht.

Geboren am 23.5.1868 in Paris als Sohn des Hamburger Bankiers Adolf Wilhelm Kessler und der berüchtigt schönen irischen Adeligen Alice Harriett Blosse Lynch - zuweilen belastet vom Gerücht, er sei tatsächlich ein unehelicher Sohn des Kaisers. Jugend zwischen preußischer Strenge und musischer Entfaltung - die Mutter ist eine begabte Sängerin und passionierte Laienschauspielerin. Alle Wohnsitze der Familie in Paris tragen erste Adressen - im Garten ihres Pariser Stadtpalais ließ sich de Mutter ein eigenes Theater einrichten. Reisen nach New York und London, Leben in Luxussuiten der besten Hotels, Kuraufenthalte der Familie in Bad Ems oder Bad Gastein. Elitäre Schulausbildung mit Besuch eines Halbinternats in Paris, Wechsel auf ein Internat in Ascot/England 1880, und auf Wunsch des Vaters ab 1882 Fortsetzung der Ausbildung am Hamburger Johanneum. Abschluß des Abiturs ebendort. 1688 Jurastudium in Bonn und Promotion in Leipzig. Begleitend Besuch von Literatur- (H. Usener), Psychologie- (W. Wundt) und Kunstvorlesungen (A. Springer). 1892 Einjährigen-Freiwilliger bei den Garde-Ulanen in Potsdam. Die homosexuell aufgeladene Zuneigung zum Regimentskameraden Otto Freiherr von Dungern setzt sich bis zu Beginn der Dreißiger Jahre als enge Freundschaft fort - von Dungern heiratet, zum Bruch führt jedoch erst von Dungerns Hinwendung zum Nationalsozialismus. Die anvisierte Diplomatenlaufbahn scheitert an Widerständen des Auswärtigen Amtes. 1893 geht Kessler nach Berlin. Von 1895 bis 1900 ist er Mitherausgeber der Kunstzeitschrift Pan, in dem Texte von Richard Dehmel, Theodor Fontane, Friedrich Nietsche, Detlef von Liliencron, Julius Hart, Novalis, Paul Verlaine und Alfred Lichtwark erscheinen, und die mit Kunstbeilagen berühmt wird - Freundschaft aus dieser Zeit mit Richard Dehmel, Arno Holz und Paul Scheerbart.

Von 1902 bis 1906 ist Kessler Direktor des Großherzoglichen Museums für Kunst- und Kunstgewerbe in Weimar, eine Position, er für die im Moment modernste Ausstellungs- und Ankaufspolitik nutzt. Auf sein Betreiben bildet sich 1903 der Deutsche Künstlerbund, dessen erster Vizepräsident er wird. Der Bund unterstützt unter anderem Edvard Munch, Johannes Becher, Detlev Freiherr von Liliencron und die Maler der Brücke. Intensive Freundschaften mit Eberhard von Bodenhausen, Henry van der Velde, Max Liebermann und Hugo von Hofmannsthal, mit gemeinsam er den Rosenkavalier und und die Handlung für das Ballett Josephslegende verfaßt.

1913 gründet Kessler unter dem Namen "Cranachpresse" seine eigenen Verlag, in dem unter anderem Shakespeares Hamlet in der Übersetzung von Gerhard Hauptmann, Vergils Eclogen und Petrons Satyricon, Gedichte Rilkes in edel ausgestatteten Ausgaben erscheinen. Holzschnitte liefert unter anderem Aristide Maillol, einer der Künstler, die in dieser zeit von Kessler nahezu abhängig arbeiten.

Der erste Weltkrieg bringt Kessler kurzfristig an die Front, in der Endphase des Kriegs leitet er in Bern die deutsche Kulturpropaganda für die Schweiz, 1918 wird der als erster Nachkriegs-Botschafter nach Polen gesandt - die Mission endet nach wenigen Monaten aufgrund der Unstimmigkeiten zwischen beiden Nationen. Kessler engagiert sich in der Folge für die Einrichtung des Völkerbunds, 1922 ist er für kurze Zeit Präsident der Deutschen Friedensgesellschaft. 1924 versucht er, erfolglos, ein Reichstagsmandat zu erlangen. Dem Scheitern folgt der weitgehende Rückzug aus der Politik und ein vermehrtes Engagement in der Cranachpresse. 1933 emigriert Kessler nach Frankreich. Auf Palma de Mallorca arbeitet er intensiv an seinen Memorien, von denen jedoch zu Lebzeiten nur ein erster Band unter dem Titel Völker und Vaterländer fertiggestellt wird. Kessler stirbt am 30.11.1937 in Lyon.

 

Nachlaß

Schiller-Archiv, Marbach
Dramatisches: Ivan Kalaïeff und andere dramatische Arbeiten.
Prosa: Entwurf der Autobiographie »Gesichter und Zeiten«; Essays und Vorträge über Kunst, Kultur und Politik, darunter »Der Deutsche Künstlerbund«, »Kunst und Patriotismus«, »Pilsudski« und »Whistler«; Gedenkrede auf Paul Cassirer.
Autobiographisches: Tagebücher aus den Jahren 1881–1937.
Briefe an: Richard Dehmel u.a.
Briefe von: Europäische Künstler, Schriftsteller und Politiker. Darunter Conrad Ansorge, Elsa Asenijeff, Johannes Baensch-Drugulin, Johannes R. Becher, Max Beckmann, Marcus Behmer, Peter Behrens, Oskar Bie, Otto Julius Bierbaum, Eberhard von Bodenhausen, Pierre Bonnard, Theodor Brodersen, Elsa und Hugo Bruckmann, Martin Buber, Bruno Cassirer, Paul Cassirer, Gaston Colin, Edward Gordon Craig, Richard und Ida Dehmel, Maurice Denis, Ludwig Derleth, Richard Dölker, Louise Dumont, Isadora Duncan, Otto von Dungern, Otto Eckmann, Gertrud Eysoldt, Felix Fénéon, Samuel Fischer, Cäsar Flaischlen, Alfred Flechtheim, Ernst Moritz Geyger, André Gide, Max Goertz, Botho Graef, George Grosz, Maximilian Harden, Ernst Hardt, Otto Erich Hartleben, Gerhart Hauptmann, Ernst Heilbut, Wieland Herzfelde, Alfred Walter Heymel, Rudolf Hilferding, Ludwig von Hofmann, Hugo von Hofmannsthal, Felix Hollaender, Arthur Kahane, Leopold Graf von Kalckreuth, Hermann Graf Keyserling, Anton und Katharina Kippenberg, Max Klinger, Annette Kolb, Ernst Kreidolf, Else Lasker-Schüler, Walter Leistikow, Alfred Lichtwark, Max Liebermann, Detlev von Liliencron, Maurice Magnus, Aristide Maillol, Roland de Margerie, Julius Meier-Graefe, Georg Merleker, Edvard Munch, Gerhard von Mutius, Alfred und Helene von Nostitz, Hans Olde, Gustav Pauli, Arthur von Payern, Rudolf von Poellnitz, Stanislaw Przybyszewski, Ludwig Quidde, Max Reinhardt, Gustav Richter, Raoul Richter, Rainer Maria Rilke, Auguste Rodin, William Rothenstein, Theo van Rysselberghe, Wilhelm Schäfer, Karl Scheffler, René Schickele, Rudolf Alexander Schröder, Woldemar von Seidlitz, Franz Servaes, Paul Signac, Hugo Simon, Bernhard Graf Stolberg-Wernigerode, Richard Strauss, Franz von Stuck, Hans Sutter, Wilhelm Trübner, Hugo von Tschudi, Fritz von Uhde, Henry van de Velde, Emile Verhaeren, Herwarth Walden, Ernst von Wildenbruch, Berta Zuckerkandl u.a.; Deutscher Künstlerbund, Künstlerverband deutscher Bildhauer; Verlage Friedrich Fontane, Insel u.a.; Zeitschriften, Museen, Galerien, Kunsthallen, Bühnen, Ministerien, Botschaften u.a. – Familienkorrespondenzen mit Jacques Marquis de Brion, Wilma Marquise de Brion und Alice Gräfin Kessler; Dokumente des Nietzsche-Archivs Weimar, darunter Briefe an und von Elisabeth Förster-Nietzsche; die Cranach-Presse betreffende Schreiben.
Zugehörige Materialien: Dokumente zu Leben und Werk; Papiere und Korrespondenzen aus den Nachlässen der Eltern Adolf Wilhelm Graf und Alice Gräfin Kessler und der Schwester Wilma Marquise de Brion, darunter Erinnerungen und Tagebücher von Mutter und Schwester.
Zum Nachlaß gehören: Zeitungsausschnitte; vier große Photoalben von Kesslers Weltreise 1891/92.

 

Veröffentlichungen

Siehe: http://www.dla-marbach.de/einricht/projekte/hgk/hgk_4.html

Hugo von Hofmannsthal - Harry Graf Kessler: Briefwechsel 1898-1929, hrsg. von Hilde Burger (Frankfurt am Main: Insel, 1968).

The diaries of a cosmopolitan. Count Harry Kessler, 1918-1937, translated and edited by Charles Kessler; introduction by Otto Friedrich (London: Weidenfeld and Nicolson, 1971), xvi, 535 S., Ills.

Eberhard von Boden - Harry Graf Kessler. Ein Briefwechsel. 1894-1918 ausgewählt und herausgegeben von Hans-Ulrich Simon [= Marbacher Schriften, 16] (Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft, 1978).

Gesammelte Schriften in drei Bänden, hrsg. von Cornelia Blasberg und Gerhard Schuster (Frankfurt am Main: Fischer, 1988).
— Bd. 1: Gesichter und Zeiten. Erinnerungen. Notizen uber Mexico, mit einem Nachwort und Anmerkungen versehen von Gerhard Schuster (Frankfurt am Main: Fischer, 1988), 480 S.
— Bd. 2: Künstler und Nationen. Aufsätze und Reden, 1899-1933 mit einem Nachwortund Anmerkungen versehen con Cornelia Blasberg und Gerhard Schuster (Frankfurt am Main: Fischer, 1988), 347 S.
— Bd. 3: Walther Rathenau. Sein Leben und sein Werk, mit einem Nachwort und Anmerkungen versehen von Cornelia Blasberg (Frankfurt am Main: Fischer, 1988), 396 S.

Harry Graf Kessler, Das Tagebuch. Zweiter Band: 1892–1897, hrsg. von Günter Riederer und Jörg Schuster (Stuttgart: Klett-Cotta, 2004), 777 S., 58,– €.

 

Literatur

Siehe: http://www.dla-marbach.de/einricht/projekte/hgk/hgk_4.html

Müller-Krumbach, Renate, Harry Graf Kessler und die Cranach Presse in Weimar mit einem Beitrag von John Dreyfus und einem Verzeichnis der Drucke der Cranach-Presse (Hamburg: Maximilian-Gesellschaft, 1969), 184 S.

Haupt, Jürgen, Konstellationen Hugo von Hofmannsthals. Harry Graf Kessler, Ernst Stadler, Bertolt Brecht mit einem Essay "Hofmannsthal und die Nachwelt" von Hans Mayer (Salzburg: Residenz Verlag, 1970), 145 S.

Schuster, Gerhard, Pehle, Margot, Harry Graf Kessler, Tagebuch eines Weltmannes. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum, Marbach am Neckar [= Marbacher Kataloge,43] (Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft, 1988), 542 S., Ills.

Zeller, Bernhard, Harry Graf Kessler. Zeuge und Chronist seiner Epoche [= Abhandlungen der Klasse der Literatur - Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Jahrg. 1989, Nr. 1] (Mainz: Akademie der Wissenschaften und der Literatur/ Stuttgart: F. Steiner Verlag/ Wiesbaden, 1989), 23 S.

Plättner, Petra [Red.], Nachlass Harry Graf Kessler im Schiller-Nationalmuseum (Berlin: Kulturstiftung der Länder, 1992), 22 S.

Lohmann-Hinrichs, Dagmar, Ästhetizismus und Politik. Harry Graf Kessler und seine Tagebücher in der Zeit der Weimarer Republik (Frankfurt am Main/ New York: P. Lang, 1994), 180 S.

Neumann, Gerhard/ Schnitzler, Günter (Hrsgg.), Harry Graf Kessler. Ein Wegbereiter der Moderne [= Rombach Wissenschaften. Reihe Litterae, Bd. 37] (Freiburg i. Breisgau: Rombach, 1997), 325 S., Ills.

Grupp, Peter, Harry Graf Kessler 1868-1937. Eine Biographie [Insel Taschenbuch, 2533] (Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1999), 430 S., Ills.

Barzantny, Tamara, Harry Graf Kessler und das Theater. Autor, Mäzen, Initiator, 1900-1933 [Dissertation, Berlin: Freie Universität, 2002] (Köln: Böhlau, 2002), 331 S.


Ende