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Alldeutscher Verband

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Über die Bedeutung und Urheberschaft des Wortes "Alldeutsch" gibt es zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch interne Auseinandersetzungen zwischen "Alldeutschen" deutscher und österreichischer Provenienz, bei letzteren hatte es eine Aufladung im katholischen Konfessionskampf mit der "Los-von-Rom-Bewegung" erfahren.

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Ideologische Platform deutscher Expansionspolitik mit zunehmender völkisch rassistischer, und antisemitischer Tendenz

Ideologisch und personell geht der "Alldeutsche Verband" zurück auf den vom Afrikaforscher Carl Peters 1886 gegründeten "Allgemeinen deutschen Verband zur Förderung überseeischer deutsch-nationaler Interessen", der jedoch keine weitere Entfaltung erfuhr. In Reaktion gegen den Sansibar-Vertrag, mit dem Helgoland (bislang britisch) deutsch, Sansibar jedoch abgegeben wurde, konstituiert sich 1890 der "Allgemeine deutsche Verband", der den Schutz deutscher Kolonialinteressen zu seinem zentralen Anliegen macht. 1894 wird er in "Alldeutscher Verband" umbenannt. Selben Jahres erscheint die erste Nummer der Verbandszeitschrift Alldeutsche Blätter, die sich einer offensiven Expansionspolitik, einer Rivaltät mit den übrigen Kolonialmächten und der Flottenaufrüstung verschreibt. Erster Vorsitzender des Verhands ist Professor E. Hasse. Ihm folgt von 1908 bis zur Auflösung des Verbands 1939 Justizrat Heinrich Claß, der Autor der Deutschen Geschichte von Einhart.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg profiliert sich der Verband mit einem ausgedehnten Diskurs über Ziele eines zukünftigen, mit Wirtschaftsinteressen begründeten Kriegs. Britische und französische Zeitungen zitieren vor 1914 bevorzugt aus den Schriften des Alldeutschen Verbands, um die deutsche Kriegsvorbereitung zu belegen. (Hans von Delbrück nimmt am 13.4.1911 in einem offenen Brief an die Contemporary Review Stellung im Dilemma: "Es ist wahr. Wir haben in Deutschland sogenannten Aldeutschen, deren Äußerungen in der fremden Presse als Beweis der ungeheuren Eroberungsabsichten Deutschlands zitiert werden. Aber jedermann in Deutschland weiß, daß das zwar eine sehr eifrige, aber gänzlich einflußlose kleine Sekte ist. Es sind gute Patrioten, und man darf ihnen deshalb nicht gram sein. Aber wegen der falschen Vorstellungen, die im Ausland geflissentlich über ihre Bedeutung verbreitet werden, bereiten sie der Politik des Deutschen Reichs unberechenbaren Schaden" Alldeutsche Blätter, XXI, 1911, S .203).

Die Statuten in der Fassung vom 6.10.1917 eröffnen als Verbandsziele:

     § 1. Der Alldeutsche Verband erstrebt Belebung der deutsch-nationalen Gesinnung, insbesondere Weckung und Pflege des Bewußtseins der rassenmäßigen und kulturellen Zusammengehorigkeit aller deutschen Volksteile.
     § 2. Diese Aufgabe schließt in sich, daß der Alldeutsche Verband eintritt 1) für die Erhaltung des deutschen Volkstums in Europa und über See und Unterstützung desselben in bedrohten Teilen; 2) für die Lösung der Bildungs-, Erziehungs- u. Schulfragen im Sinn des deutschen Volkstums; 3) für Bekämpfung aller Kräfte, die unsere nationale Entwicklung hemmen; 4) für eine tatkräftige deutsche Interessenpolitik in der ganzen Welt, insbesondere Fortführung der deutschen Kolonialbewegung zu praktischen Ergebnissen.

Unter der propagandistischen Führung von Heinrich Claß verstärkt sich nach der Kriegsniederlage die Ausrichtung auf die völkische Bewegung und die antisemitische Rasseideologie. Die Satzung vom 31.8.1919 formuliert als die Ziele des Verbands:

      § 1. Der Alldeutsche Verband will in allen Deutschen eine auf die Treue und Liebe zur deutschen Eigenart gegründete völkische Gesinnung und einen nur auf das Wohl der deutschen Gesamtheit gerichteten völkischen Willen erwecken. Ohne Rücksicht auf ihre Staats-, Partei- und Bekenntnis-zugehörigkeit will er alle Volksgenossen zusammenschweißen zur Arbeit an der allen Deutschen gemeinsamen Aufgabe: Erhaltung, Pflege und Entwicklung des deutschen Volkstums.
      § 2. Diese Aufgabe schließt in sich, daß der Alldeutsche Verband seine Aufgabe vor allem dienen läßt der Rettung und Wiederaufrichtung des durch den Zusammenbruch im November 1918 mit dem Untergang bedrohten deutschen Volks und Deutschen Reichs. Er fordert insbesondere als für Wohlergehen und Gedeihen der deutschen Volksgesamtheit unerläßlich 1) sittliche Ertüchtigung aller Kreise und Schichten unseres Volks, Wiedererweckung der Eigenschaften, die unsere Vorfahren aus Zeiten tiefster Not immer wieder emporgehoben haben; 2) Wiederaufrichtung eines starken deutschen Kaisertums; 3) Wiederaufbau einer starken deutschen Wehrmacht 4) Wiedergewinnung der dem deutschen Volk geraubten Gebiete; 5) Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich; 6) Schutz und Hilfe für das bedrängte Auslanddeutschtum; 7) Gestaltung und Ausbau aller Gebiete des Volks-, Staats- und Einzellebens, gemäß deutscher Eigenart, insbesondere des Schul-, Bildungs-, Gesundheits- und Siedlungswesens, sowie Beeinflussung der deutschen Jugend- und Frauenbewegung im völkischen Sinn; 8) planmäßige rassische Höherentwicklung des deutschen Volks durch Auslese und Förderung aller im Sinn guter deutscher Art hervorragend Begabten; 9) Bekämpfung aller Kräfte, welche die völkische Entwicklung des deutschen Volks hemmen oder ihr schaden, insbesondere Fremdensucht und der auf fast allen staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Gebieten bestehenden jüdischen Vorherrschaft (Alldeutsche Blätter, XXIX, 1919, S. 310).

Die Kriegsniederlage zwang den Alldeutschen Verband bei der konkreten Formulierung seiner Ziele wiederholt zu lavieren. Eine Kritik am Monarchismus alter Prägung und an der Führung des Ersten Weltkriegs, die ein Ausbluten der eigenen Armee riskierte, wurde 1918 unumgänglich: In der Denkschrift "Die Wahrheit über das alldeutsche Kriegsziel" veröffentlicht im Handbuch des Alldeutschen Verbands von 1918 distanziert sich Claß vom vorangegangenen Krieg mit den Worten: "Wie wir denn überhaupt das deutsche Blut für viel zu kostbar erachten, als daß es an Aufgaben wie einen aussichtslosen Kampf um eine Art Weltherrschaft verschwendet werden dürfte. Von Tagen mittelalterlicher Kaiserpolitik trennt uns mehr als nur die Spanne eines halben Jahrtausends." Er fügte im selben Zusammenhang hinzu, daß die Unterstützung des Auslandsdeutschtums nicht notwendigerweise in einer geographischen Annexion der Exklaven im Osten geschehen müsse, es genüge darüber zu wachen, daß das Deutschtum im Ausland keinen Schaden nehme, die Kulturgemeinschaft aufrechterhalten bliebe, das Verhältnis des staatlichen Nebeneinanderwohnens gelte es pragmatisch möglichst gedeihlich zu gestalten — so die ausweichenden Formulierungen. Gleichzeitig finden sich eine Vielzahl von Ideologemen in den Schriften der Verbandsmitglieder, die auf das Dritte Reich vorausweisen: Die Eroberung des Ostens und die die Begründung eines kontinentalen Großreichs mit neuer deutscher Siedlungspolitik, Gedanken die slawischen Völker einer rassischen Selektion zu unterziehen, respektive zu versklaven, Pläne für einen Zugriff auf die ukrainische Getreide- und die sowjetrussische Ölproduktion. Zum argumentativen Standard gehört die Unterstellung, Deutschland sei angefeindet und von daher berechtigt, nach eigenem Belieben gegenüber dem Ausland aufzutreten — eine sich selbst rechtfertigende Unterstellung, denn es gelang dem Alldeutschen Verband durch seine publizistische Tätigkeit spielend, die ausländische Presse gegen sich aufzubringen und aus der ihm zukommenden Feindschaft das erwünschte argumentative Kapital zu schlagen.

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Angefeindet, exklusiv, einflußreich und das wichtigste Gedankenreservoir des Nationalsozialismus

Mit 40.000 Mitgliedern blieb der Alldeutsche Verband eine elitäre Organisation. Seine Anhängerschaft rekrutierte sich in intellektuellen Kreisen, der Schwerindustrie, dem Adeel, der Armeeführung, dem gebildeten Bürgertum. Im Deutschen Reichstag gab es 1901 zwar eine Alldeutsche Vereinigung von 32 Mitgliedern, sie trat jedoch nicht als Fraktion auf. Herausragend schriftstellerisch tätig war der Verbandsvorsitznde Heinrich Claß — seine Deutschen Geschichte von Einhart fand ungewöhnliche Verbreitung im konservativen Bildungsbürgertum. Das Verbanddsschrifttum blieb jedoch Ort von Minderheitenstandpunkten. Die politischen Ziele die Claas formulierte, luden jederzeit zu Distanzierungen seitens der staatstragenden Parteien ein.

Die größere Bedeutung hatte der Alldeutsche Verband als überparteiliche Organisation mit angefeindeter intellektueller Position. Hans Grimms Vater gehörte zu den führenden Köpfen der Kolonialbewegung — Volk ohne Raum (1926) wurde der große Roman von den Zielen des Verbands. Alfred Hugenberg gehörte zu den Mitbegründern — der Hugenberg Konzern gewann von 1916 bis 1928 eine Monopolstellung auf dem Nachrichtenmarkt. Die Großsponsoren des Dritten Reichs kamen, von Hugenberg bis Kirdorf, aus den hohen Rängen des Verbands. Hitler selbst hatte mit Mein Kampf 1925 und 1927 das parteipolitische Propagandawerk vorgelegt, das wie kein konkurrierendes, die Ziele des Alldeutschen Verbands aufnahm.

Die Bedeutung des Alldeutschen Verbands schwand ab 1918. Gegenüber der offiziellen Politik der Weimarer Republik bezog der Verband mehrfach mit Rufen nach einer "nationalen Diktatur" Stellung. Im Parteiensprektrum blieb er zunehmend auf die rechtsextreme Bewegung verwiesen. Mit deren Erstarken nahm die Macht des konservativen Verbandes weiter ab. 1929 beteiligte sich der Verband an der nationalen Opposition im Volksentscheid gegen den Young-Plan. Am 11.1.1931 schloß er sich der Harzburger Front an — die antirepublikanische Agitation verschäfte sich. Im NS-Regime wurde der Verband wirkungslos, zunächst geduldet, 1939 dann aufgelöst.

 

Literatur

Handbuch des Alldeutschen Verbands (jährlich, für Mitglieder kostenlos).

Liptay, D., L`hydre pangermanique (Paris 1910).

Zwanzig Jahre alld. Arbeit u. Kämpfe, hrsg. von der Hauptleitung (Leipzig, 1910).

Usher, O., Pangermanism (London 1914).

Auer, K., Hammer oder Kreuz? (1917): Die Volksaufklärung, hrsg. von M. Hohbohm, Nr. 1.

Baumgarten, O., Das Echo der alld. Bewegung in Amerika (1917).

Claß, Heinrich, Der Alldeutschen Verband Sonderabdruck aus: Der Panther. Monatschrift der Politik des Volkstums (1917).

Grell, Hugo, Der Alldeutschen Verband, seine Geschichte, seine Bestrebungen und Erfolge 8. Heft der Flugschriften des Alldeutschen Verbands (1917).

Kloß, M., Die Arbeit des Alldeutschen Verbands im Krieg, Rede, gehalten in Kassel am 27. Okt. 1917 (1917).

Der Alldeutschen Verband Eine Aufklärungsschrift, hrsg. von der Hauptleitung (1918).

Pretzell, R., Hie Alldeutsch (1918).

Rohrbach, P., Die alldeutsche Gefahr (1918): Der Tag des Deutschen, hrsg. von M. Hohbohm.

Spieß, K., Alldeutschtum u. Christentum (1918).

Bonhard, O., Geschichte des Alldeutschen Verbands (1920).

Erhard Schlund O. F. M., "Alldeutsch", Eintrag in: Staatslexikon. Im Auftrag der Görres-Gesellschaft hrsg. von Hermann Sacher. 5. neubearb. Aufl. Bd. 1. (Freiburg i. Br., 1926), Sp. 126-131, http://www.gehove.de/antisem/antis_alldeutsch.html


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