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Reichsschrifttumskammer (RSK)

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Viereck Rolf Düsterberg, 2004
Literatur
Dokumente

Die 1933 gegründete Reichsschrifttumskammer war "der organisatorische Zusammenschluß für alle Gruppen, die an der Herstellung, Verbreitung oder Vermittlung des Kulturgutes Buch mitwirkten" (Faustmann, 202). Dennoch war ihre Position hinsichtlich der Zuständigkeiten und Kompetenzen nie unangefochten. Schon die überstürzte und deshalb massive Mißverständnisse und Fehlentwicklungen auslösende Gründung der übergeordneten Reichskulturkammer auf Anordnung von Propagandaminister Joseph Goebbels war ein Reflex auf drohende Konkurrenz durch die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die entsprechende Aktivitäten ergriffen hatte (Dahm, 83 bzw. 78). Wenngleich sich der Minister damit "in den Besitz eines kulturpolitischen Monopols gebracht" (ebd., 78) hatte, rangen und intrigierten doch weiterhin und bis zum Ende des Regimes zahlreiche weitere bürokratische Institutionen der Literaturpolitik mit- bzw. gegeneinander um Einfluß und Zuständigkeiten:

Nach dem Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 war die RSK eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und bildete zusammen mit weiteren sechs Einzelkammern (Film-, Musik-, Presse-, Rundfunk-, Theaterkammer sowie Reichskammer der bildenden Künste) die Reichskulturkammer (RKK), die der Aufsicht des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda unterstand, der gleichzeitig auch Präsident der RKK war. Jeder, der bei der "Erzeugung, der Wiedergabe, der geistigen oder technischen Verarbeitung, der Verbreitung, der Erhaltung, dem Absatz oder der Vermittlung des Absatzes von Kulturgut" (Handbuch der Reichskulturkammer, 27 bzw. 24f) mitwirkte, war zur Mitgliedschaft in der jeweils zuständigen Einzelkammer verpflichtet. Hinsichtlich der RSK betroffen waren demnach neben Schriftstellern und Dichtern unter anderem auch Buchhändler und Inhaber von Buchhandlungen, Buchvertreter und Bibliothekare; der Schrifttumsbegriff bezog sich dabei nicht nur auf traditionell als künstlerisch-ästhetisch angesehene Texte, sondern auf Literatur jeglicher Art mit Ausnahme der wissenschaftlichen. Von der Kammerpflicht befreit werden konnten lediglich solche Autoren, die nur gelegentlich schriftstellerisch tätig waren. D.h. die RSK (wie die gesamte RKK) war eine Zwangsinstitution, die mit dem Ziel der lückenlosen Kontrolle des kulturellen Lebens errichtet worden war. Volker Dahm spricht in diesem Zusammenhang von dem "mit historischer Perspektive unternommenen Versuch einer totalen Umwälzung der demokratischen Kulturverfassung im Geiste des Nationalsozialismus", welche die Zwangserfassung aller kulturell in irgendeiner Weise tätigen Menschen in der RKK bedeutete. "An die Stelle des 'individualistischen' Prinzips sollte das völkische treten, an die Stelle eines weitgehend staatsfreien Kulturlebens eines, das der Sphäre des Staates eingeordnet war, an die Stelle des freien künstlerischen Schaffens der Dienst an der 'Volksgemeinschaft', an die Stelle der primär der Vertretung wirtschaftlicher 'Sonderinteressen' dienenden Berufsverbände der im Sinne einer völkischen Ganzheitsidee in sich geschlossene, widerspruchsfreie Berufsstand als tragende Säule des neuen Staates" (Dahm, 56).

Mit der hierarchischen Struktur der Kammern und ihrer Ermächtigung, "produktions- und marktregelnde Vorschriften zur erlassen und soziale Reglements zu treffen", sowie mittels der "persönlichkeitsbezogenen Mitgliederauslese" sollten die gesteckten ideologischen Ziele erreicht werden (Dahm, 75). So war es, wie im Handbuch der Reichskulturkammer (136) nachzulesen, unter anderem Aufgabe der RSK, den Berufsstand von "unerwünschten Elementen" und den Büchermarkt von "undeutschem Gut" rein zu halten ("Referat für Überwachung"). Dazu gehörte seit 1935 im wesentlichen auch die Führung zweier Listen: a) über die schädliche und unerwünschte Literatur und b) über solche Texte, für die öffentlich nicht geworben, die nur von bestimmten autorisierten Händlern verkauft und nicht an Jugendliche unter 18 Jahren abgegeben werden durften. Gleichwohl lag die Entscheidung über Buchverbote offensichtlich nicht bei der RSK, sondern im Goebbelschen Ministerium (Reichskulturkammer und ihre Einzelkammern, 89).

Nach dem 1937 abgeschlossenen Prozeß des organisatorischen Aufbaus der RSK (nach: Reichskulturkammer und ihre Einzelkammern, 89ff) figurierten unter dem Präsidenten ein Vizepräsident, der aus elf Funktionsträgern der RSK bestehende, vornehmlich Repräsentationszwecken dienende Präsidialrat sowie der Geschäftsführer, dessen Geschäftsstelle (Berlin und Leipzig) sieben Abteilungen umfaßte: (I) Verwaltung, (II) Gruppe Schriftsteller, (III) Gruppe Buchhändler (untergliedert in Fachschaften und Fachgruppen), (IV) Buchwerbung, (V) Büchereiwesen, (VI) Adreß- und Anzeigenbuchgewerbe sowie (VII) Wirtschaftsstelle des Deutschen Buchhandels. In der Zentrale der RSK waren 1939 insgesamt 118 Personen beschäftigt, davon 20 Leitende Angestellte und 98 Expedienten, Büroangestellte und Hilfskräfte. Die in jedem Gau des Deutschen Reiches bestehenden 31 Landesleitungen bildeten den regionalen Unterbau der RSK. Die ehrenamtlich tätigen Landesleiter unterstanden ebenfalls dem Kammerpräsidenten; sie waren unter anderem zuständig für die Überwachung der einschlägigen Verbände, der Fachschaften und ggf. von Einzelmitgliedern.

Um aufgenommen zu werden, bedurfte es des bürokratisch recht aufwendigen Verfahrens der Antragstellung, wozu der Kandidat oder die Kandidatin nicht nur einen umfangreichen Fragebogen zur Person auszufüllen, sondern auch diverse Gutachten der Partei, der Gestapo und der zuständigen Landesleitung der RSK sowie einen Lebenslauf und vor allem den im nationalsozialistischen Staat zur Selbstverständlichkeit gewordenen Abstammungsnachweis (manchmal auch den der Ehefrau) vorzulegen hatte (Reichskulturkammer und ihre Einzelkammern, 87). Die hier wie auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens nach und nach vollzogene "Gleichschaltung" und personelle politische und rassistische "Säuberung" bedeutete auch, daß die erfolgreichen Antragsteller in ihrer Arbeit "den Interessen der nationalsozialistischen Führung weiterhin verpflichtet" blieben. Denn es bestand jederzeit die Möglichkeit, "die positive Bescheidung eine Aufnahmeantrags zu widerrufen, um gleichzeitig den Kammerausschluß und damit ein Berufsverbot zu verfügen" (Faustmann, 203).

Die Präsidenten der Einzelkammern wurden vom Propagandaminister ernannt; ihnen zur Seite stand ein Verwaltungsbeirat, dessen Mitglieder — streng nach dem Führerprinzip — wiederum von ihnen berufen oder abberufen wurden; Goebbels selbst hob in einer Rede aus dem Jahre 1934 die unter dem "besonderen Schutz der Reichsregierung stehende 'Autorität' der Kammerpräsidenten hervor" (Dahm, 80). Diesen stand nicht nur die letzte Entscheidungsgewalt in allen ihre Kammern betreffenden Fragen zu, sie waren auch ermächtigt, Ordnungsstrafen "bis zu einhunderttausend Reichsmark gegen jeden festzusetzen", der beispielsweise den Anordnungen der Kammer zuwiderhandelte; die Polizeibehörden hatten im Bedarfsfall für die Durchführung dieser Verordnung zu sorgen (Handbuch der Reichskulturkammer, 33 [Reichskulturkammergesetzgebung]). Den Präsidenten war es vorbehalten, über die "'Zuverlässigkeit und Eignung'" von Antragstellern zu befinden, was sowohl "willkürliche Entscheidungen" ermöglichte als auch die Anpassung der Entscheidungskriterien "an die jeweilige kulturpolitische oder gesamtpolitische Lage". Diese "außernormative Entscheidungsgewalt der Kammerpräsidenten" illustriert Volker Dahm am Beispiel der "Nichtarierfrage": "Während Juden im Zuge des Aufbaus der Kammern uneingeschränkt eingegliedert wurden [...], wurden bereits im Frühjahr 1934 restriktive Aufnahmebestimmungen in Kraft gesetzt, nachdem Goebbels erklärt hatte, daß 'ein jüdischer Zeitgenosse' seiner 'Ansicht und Erfahrung' nach 'im allgemeinen ungeeignet' sei, 'Deutschlands Kulturgut zu verwalten' [...]. Ab 1935 wurden dann alle Juden auf Grund dieser Einschätzung [...] aus den Kammern entfernt" (Dahm, 78).

Erster Präsident der RSK war Hans Friedrich Blunck (1933-1935), dem Hanns Johst, der bis zum Kriegsende amtierte, unmittelbar folgte.

 

Literatur

Barbian, Jan-Pieter. Literaturpolitik im "Dritten Reich". Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. Überarb. u. aktualis. Ausg. Stuttgart: dtv, 1995.

Dahm, Volker. "Anfänge und Ideologie der Reichskulturkammer". Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 34 (1986) 1, 53-84.

Faustmann, Uwe Julius. Die Reichskulturkammer. Aufbau, Funktion und rechtliche Grundlagen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im nationalsozialistischen Regime. Diss. jur. Bonn: Universität, 1990.

Handbuch der Reichskulturkammer. Hg. von Hans Hinkel. Berlin: Deutscher Verlag für Politik und Wirtschaft, 1937.

Reichskulturkammer und ihre Einzelkammern. Findbuch zum Bestand R 56. Bearb. von Wolfram Werner. Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs Bd. 31. Koblenz: Bundesarchiv, 1987.

 

Dokumente

9.9.1940

Ermahnung, sicherzustellen, daß Juden in Buchhandlungen nicht bedient werden.


Ende