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Zentralgericht des Heeres, Berlin
11.4.1944-20.9.1944

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Viereck Olaf Simons, 2003

Das Zentralgericht des Heeres, Berlin, vor dem im September 1944 noch gegen Wolfgang Borchert verhandelt wurde, wurde am 11.4.1944 per sofort gültigem Erlaß gebildet [Heeresmitteilungen 1944, Nr. 326, wiedergegeben in Rudolf Absolon, Das Wehrmachtsstrafrecht im 2. Weltkrieg (Kornelimünster, 1958) S. 226: III.C.93.]. Seine Arbeit nahm es am anderen Tage mit der Forführung des Prozesses gegen Matthias Lackas, Karl Heinz Moldt und Eberhard Ritter von Riewel auf — die personelle Besetzung des Gerichtes blieb die des Gerichts der Wehrmachtskommandantur, Berlin, das hiermit ein neues Forum gewonnen hatte. Mit dem Zentralgericht war, sieht man auf die ihm zugewiesenen Kompetenzen, soviel wie ein Sondergericht innerhalb der Wehrmachtsgerichtsbarkeit geschaffen. Es sollte für "politische Strafsachen", "Strafsachen wegen widernatürlicher Unzucht", "Korruptionsfälle von besonderer Bedeutung", "Fahndungssachen", "durch sonstige besondere Anordnungen zugewiesene Sachen" und die Entscheidung über Wiederaufnahmeverfahren zuständig sein.

Der spezielle Geschäftseinstieg wird kein Zufall gewesen sein: Der Prozeß gegen Matthias Lackas führte, wie jetzt absehbar war, zu Folgeprozessen innerhalb der Wehrmacht. Für den 12.4.1944, war mit dem Grafen Monts ein Zeuge von besten Beziehungen zum Propagandaministerium vorgeladen. Die laufenden Korruptionsermittlungen wurden auf Monts ausgeweitet.

Die Wehrmacht befand sich, davon zeugt die Einrichtung des besonderen Gerichts nicht zuletzt, gegenüber Hiter, dem "Oberbefehlshaber der Wehrmacht" in einem Legitimationsdruck. Auf keinen Fal durfte der Eindruck aufkommen, die gegenwärtige mlitärischen Mißerfolge hätten mit Auflösungserscheinungen innerhalb der Wehrmacht zu tun. Hitler ermächtigte am 12.6.1944 per Führererlaß Generalfeldmarschall Keitel, "[u]m eine wirksame Bekämpfung der Korruption sicherzustellen [...] mit größter Schnelligkeit rücksichtsloser Härte und ohne Ansehen der Person" durchzugreifen. Jederzeit sollte Keitel bestimmen dürfen, vor welchem Gericht verhandelt würde, und Keitel legte noch an Ort und Stelle in seinen Ausführungsanordnungen fest, daß alle komplexeren Fälle vor dem Zentralgericht des Heeres verhandelt würden. Der enge Zusammenhang der Dokmente offenbart, daß Keitel zuvor Hitler die Ergebnisse der Arbeit des Zentralgerichts und damit das Verfahren gegen Matthias Lackas und sein Umfeld präsentiert hatte, und daß Hitler Zufriedenheit über die getane Arbeit und die gefällten Urteile gezeigt hatte. [Hitlers Erlaß und Keitels "Ausführunganordnungen" zum Führererlaß vom 12.6.1944 erschienen gemeinsam in Heeresmitteilungen 1944, Nr. 321. Wiederabgedruckt in: Rudolf Absolon, Das Wehrmachtsstrafrecht im 2. Weltkrieg (Kornelimünster, 1958) S. 83, I.E.33.]

Noch am 2. und am 6. September bestätigten Ausführungen, die per Verteiler durch die Wehrmacht gingen, daß der Kampf gegen die Korruption fortgesetzt würde. Ausführlich wurde resümiert, wogegen sich dieser Kampf insbesondere richten würde [Vlg. die Dokumente I.E.34 und I.E.35 in Rudolf Absolon, Das Wehrmachts-strafrecht im 2. Weltkrieg (Kornelimünster, 1958) S. 83-89].

Soweit ersichtlich blieb das Zentralgericht in den September hinein tätig. Wolfgang Borchert wurde vor ihm noch im September zum Tode verurteilt und dann (wie Lackas später) zur "Bewährung an der Front" begnadigt. Per Führererlaß übernahmen jedoch mit dem 20.9.1944 der Volksgerichtshof und die Sondergerichtsbarkeit die wichtigsten Kompetenzen des Zentralgerichts — vor dem Freisslers Volksgerichtshof standen seit dem August bereits jene Angeklagten aus dem Umkreis des 20. Juli, die nicht sofort nach dem Attentat auf Hitler hingerichtet worden waren. Die Übertragung der Befugnisse auf die zivile Gerichtsbarkeit reflektiert die Hektik, mit in den letzten Kriegsmonaten sämtliche das Heer betreffenden Fragen gehandhabt wurden.

 

Literatur

Absolon, Das Wehrmachtsstrafrecht im 2. Weltkrieg (Kornelimünster, 1958).

Hans-Eugen Bühler/ Olaf Simons, Die blendenden Geschäfte des Matthias Lackas. Korruptionsermittlungen in der Verlagswelt des Dritten Reichs (Köln: Pierre Marteau, 2004), 208 S, ills. Verlagswerbung


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