index

Fritz Möhle: Zur Entwicklung der Firma C. Bertelsmann, Gütersloh
Gütersloh, 25.9.1945

Linie
Viereck Transkript: Olaf Simons

Einordnung

Der Wirtschaftsprüfer Fritz Möhle stattet den Verlag C. Bertelsmann, den er im Dritten Reich vertrat, gegenüber den allierten Behörden mit einem Zeugnis des politischen Widerstands gegen das nationalsozialistische Regime aus.

Dokument

BA Berlin/ Im Durchschlag Unternehmensarchiv Bertelsmann

Dr. MÖHLE und Dr. Dr. RED, Wirtschaftsprüfer

25.9.1945


Zur Entwicklung der Firma C. Bertelsmann,
Gütersloh

Wir beraten den Verlag C. Bertelsmann in Gütersloh zwar erst seit 1938, haben aber aus den Kämpfen des Verlages um seine Existenz, auf die weiter unten noch eingegangen wird, sowohl Analysen seiner wirtschaftlichen Entwicklung seit 1920 durchgeführt und auch die Entwicklung des von ihm herausgegebenen Schrifttums etwa seit der Jahrhundertwende eingehend prüfen müssen, so dass wir eine weitgehende zurückliegende Übersicht über das Verlagsgeschehen haben und sowohl Herrn Mohn als auch die leitenden Herren des Verlages genau kennen. Letzteres vor allem daraus, weil wir im Jahr 1944 fast ein ganze Jahr hindurch den Verlag praktisch als Treuhänder zu leiten hatten.

1. Herausgegebenes Schrifttum

Der Verlag C. Bertelsmann und der ihm angeschlossene Rufer-Verlag haben herausgegeben:

  1. evangelisch-theologische Bücher,
  2. evangelisch erbauliche Bücher und Zeitschriften,
  3. Romane und Erlebnisbücher,
  4. verschiedene kleine Bücherreien erzählenden Inhaltes.

Zu a) und b)

Die Herausgabe der theologischen und erbaulichen Bücher erfolgt in enger Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche, und zwar nach der Gründung der bekennenden Kirche, die in Opposition zu der von den Nationalsozialisten geschaffenen "Deutschen Christen" Bewegung stand, in Anlehnung an die B.K., in deren Reihen der Verlag aktiv kämpferisch tätig war.

Zu c)

Bei den Romanen und Erlebnisbüchern erblickte der Verlag seine kulturelle Aufgabe darin, ethisch wertvolle Bücher auf christlicher Grundlage herauszugeben, die an Gemüt und Verständlichkeit weiteste Volkskreise ansprachen und doch ein hinreichendes Niveau hatten, um den Geschmack und die sittliche Haltung der Masse zu heben. Zu diesen Büchern gehörten auch Erlebnisbücher aus dem Kriege, bei welchen Schriftsteller, wie z.B. Ettighoffer, der seinem Wesen nach Pazifist ist, abschreckende Schilderungen des Kriegsgeschehens brachten und zugleich eine christlich ethische|<2> Grundhaltung verfochten. So wurde z.B. das Buch Narvik nach langen Kämpfen, an welchen sich Goebbels und Himmler persönlich beteiligt hatten, verboten, weil seine christlichen Tendenzen für die SS untragbar seien.

Zu d)

Unter den kleinen Heftreihen verdient besondere Beachtung die Reihe "Spannende Geschichten", welche den Kampf gegen die Schundliteratur für Jugendliche aufnahmen (kriminelle Hefte, ethisch minderwertige Wildwest-Geschichten usw.). Hier wurden der Abenteuerlust der Jugend entsprechend spannende Erlebnisse und Erzählungen im gehobenen Stil und auf christlich-ethischer Grundlage dargeboten, die dem Bedürfnis der Jugend nach reichhaltigem Geschehen Rechnung trugen und zugleich erzieherisch auf die Jugend einzuwirken suchten.

2. Entwicklung des Verlages

Als der jetzige Besitzer des Verlages, Herr Heinrich Mohn, dieses von seinem Grossvater gegründete Unternehmen von seinem Vater übernahm, hatte es den Umfang eines mittleren Provinzverlages und beschränkte sich im wesentlichen auf den theologischen und erbaulichen Teil und führte daneben Schulbücher. Herr Mohn gliederte eine belletristische Abteilung an, die planmäßig von Jahr zu Jahr ausgebaut wurde.

Der Verlag zeigt etwa seit 1920 einschl. 1943 eine fortgesetzt gleichmäßig aufsteigende Umsatzentwicklung, die teils durch geschickte Buchauswahl und Werbung, teils aber auch durch die besondere christlich-ethische Linie des Verlages verursacht waren. Es machte sich hier die allgemeine Erscheinung bemerkbar, dass je schlimmer die Auswüchse des Nationalsozialismus wurden, desto mehr das Bedürfnis des Volkes nach andersartiger Lektüre wuchs.|<3>

Die Gewinnentwicklung war nicht ganz von der gleichen Stetigkeit. Hier waren rückläufige Bewegungen in den Jahren um 1938 zu verzeichnen, als der Verlag erhebliche Mittel für den Bau einer modernen und größeren Druckerei investierte. Umgekehrt zeigten sich größere Gewinne als den [!] Umsatz entsprechend in den ersten Kriegsjahren, weil hier durch den Krieg zwangsläufig viele Unkosten gesenkt wurden, z.B. Reklamekosten, ohne dass die Umsätze zurückgingen. Im Ganzen machte sich die Tatsache bemerkbar, wie sie bei aufsteigenden Unternehmen allgemein üblich ist, das die Kosten ein bis zwei Jahre später steigen als die Umsätze und dass dadurch überhöhte Gewinne in den ansteigenden Jahren entstehen. Auf der anderen Seite wirkte sich aus, dass in dem Anlaufjahr sehr viel Geld in die Reklame gesteckt werden konnte, woraus der Nutzen erst in späteren Jahren in Erscheinung trat.

3. Politische Kämpfe des Verlages

In den Jahren unserer Beratung haben wir vor allen Dingen mitgewirkt in den Kämpfen, welche der Verlag gegen Anfeindungen der nationalsozialistischen Behörden zu führen hatte, und zwar einmal, weil keiner der Herren der Partei angehörte oder auch nur im geringsten auf die politischen Wünsche der Partei einging und zum anderen, weil der Verlag in seiner christlichen Grundhaltung den nationalsozialistischen Behörden ein Dorn im Auge war.

Die Kämpfe begannen gleich 1933, spitzten sich aber erst gegen 1939 schärfer zu. Zuerst sollte der Verlag gezwungen werden, durch Bezeichnung als evangelischer Verlag sich so nach außen zu kennzeichnen, dass jede kleinste Dienststelle gewarnt würde, Bücher bei ihnen zu bestellen. Durch Trennung des Schrifttums in die beiden Verlage C. Bertelsmann und Rufer konnte man dieser Möglichkeit entgehen, so dass die wichtige christliche Kulturarbeit, vor allem in dem großen Lesekreis der Wehrmachtsangehörigen, im Krieg aufrecht erhalte werden konnte.

Man versuchte den Verlag zu schließen im Zusammenhang mit dem Narvik-Buch. Die Kämpfe hatten jedoch, nachdem das Buch verboten war, zu einem vorübergehenden Erfolg geführt. Man versuchte den Verlag wegen seiner Haltung zu schließen, worauf wir 1941/42 rieten, dass wenigstens einige der Prokuristen der Partei beiträten, um den Angriffen die Spitze zu nehmen und die kulturelle Aufgabe weiter erfüllen zu können.|<4>

Man versuchte den Verlag unter dem Vorwand zu schließen, dass er überflüssig sei, als die allgemeine Aktion zur Schließung der Betriebe kam. In sehr schweren Kämpfen gelang es, die Schließung auf den Rufer-Verlag zu beschränken.

Als alles dies nicht möglich war, wurde im Winter 1943/44 ein Strafverfahren gegen den Verlag eingeleitet wegen angeblicher Papierschiebungen. Herr Mohn wurde nur wegen seines Gesundheitszustandes nicht verhaftet. Dagegen wurden verhaftet seine leitenden Herren Steinsiek, Wixforth, Beimdiek und Banzhaf. Man wollte auf diese Weise einen Rechtsgrund schaffen, um den Verlag endgültig schließen zu können, wie wir aus den Verhandlungen mit dem Propagandaministerium wissen. An der Verteidigung des Verlages waren insbesondere tätig RA Grünewald und für die einzelnen Beteiligten die RA Landmeyer und Dr. Nierhof, alle in Bielefeld, während die Vorbereitung der Verteidigung und die treuhänderische Leitung des Unternehmens in unserer Hand lag. Wie scharf diese Kämpfe geführt wurden, geht daraus hervor, dass auch unser Dr. Möhle einen Monat lang in Haft genommen wurde mit der Begründung "Er habe zwar nichts Strafbares begangen, störe aber die Anklagebehörde." Das Verfahren endete im Februar 1945 mit der Erklärung der Staatsanwaltschaft — zu verdanken war dies dem außerordentlich korrekten und guten Staatsanwalt Dr. Niederlaag [!]. und auch der Objektivität des ersten Staatsanwalts Krieger – das keinen strafbaren Tatbestände vorlägen und das Verfahren eingestellt würde.

Einen Erfolg im Sinne des Nationalsozialismus hat dies Verfahren anderersets insofern gehabt, als praktisch der Verlag im Jahr 1944 keine neuen Bücher mehr herausgeben konnte und damit lahmgelegt war. Immerhin hat der bis zur Gefährdung der eigenen Freiheit geführte Kampf sich insofern gelohnt, als der Verlag fast bis zum kläglichen Ende des Nationalsozialismus sein auf christlich-ethischer Grundlage basiertes Schrifttum in großem Umfang an das Volk voranbrachte. Der Verlag hat also nicht nur eine kulturhistorische, sondern vor allem auch eine christliche und politische Aufgabe erfüllt.

 

Dr. Möhle

 

Bielefeld, den 25. September 1945
EP/201/R.


Ende