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C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh

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Kapitel 3: Aufstieg und Aufrüstung

Der Krieg für die Jugend: Werbung zu Flieger am Feind aus dem Börsenblatt vom 28. November 1934.
 
Das Weihnachtsbuch der Hitlerjugend ist das Frontfliegerbuch Flieger am Feind von Werner von Langsdorff. 1-20. Tausend. Über 80 Photos. Preis RM 4.40. Baldur von Schirach schreibt: Das Buch "Flieger am Feind" hat mich außerordentlich ergriffen. Die einzelnen, zum Teil mit großem schriftstellerischen Können verfaßten Berichte unserer Kampfflieger lassen einen tagelang nicht mehr los. Die Jugend wird sich an den Berichten Hermann Görings, Eduard Ritter v. Schleichs, Ernst Udets und anderer für die stolzen Taten unserer einstigen Luftwaffe begeistern."

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In Antwort auf Remarque — Der Erste Weltkrieg als neues Geschäft

Bertelsmann war 1928 in den Verlag von Belletristik eingestiegen. Ein kleines Spektrum an Heimat- und Frauenromanen war fünf Jahre später aufgebaut. Einen durchschlagenden geschäftlichen Erfolg hatte es jedoch nicht erbracht. Dieser begann 1934 mit dem Aufbau der neuen Produktlinie Kriegsbücher. Den Anfangspunkt setzten dabei nicht Friede H. Krazes (alias Heinz Gumprechts) Magische Wälder, — der Roman des Malers, der im Ersten Weltkrieg aus sibirischer Kriegsgefangenschaft durch Rußland nach Deutschland flieht, 1933 von Bertelsmann "als ganz neuer Typ eines Kriegsbuchs" auf den Markt gebracht. Die Magischen Wälder wurden erst 1936 zum Erfolg, als sie in einer eigenen Sparte von Sibirienromanen erschienen, in der Werner von Langsdorff, Paul Coelestin Ettighoffer, Ernst von Salomon und endlich, politisch am klarsten exponiert, Herbert Volck das Umfeld boten.

Die neue Erfolgsproduktion erschloß sich Bertelsmann im Sommer 1934 mit der Publikation von Werner von Langsdorffs Fliegern an Feind. Der mit Photos ausgestattete Band bot eine Serie von Kriegserlebnisberichten aus den Luftgefechten des Ersten Weltkriegs und baute eine eigene Spannung von Technikbegeisterung und letztem Rittertum auf, zu dem sich die Helden der ersten Luftgefechte aufschwangen. Die Beiträge waren gut sortiert — selbst Hermann Göring war mit von der Partie — und die Sammlung kam zum besten Zeitpunkt. Das Dritte Reich setzte sich soeben über die Flugverbote hinweg, mit denen man Deutschland nach dem ersten Weltkrieg belegt hatte. 1935 begann die Aufrüstung. Schon jetzt stand für die neue Ware eine neue Kundschaft im Raum: Die Hitlerjugend, der Baldur von Schirach das Buch ans Herz legte.

Bertelsmann kaufte wenig später in Lizenzen ein Spektrum jener Titel, die sich 1930, 1931 und 1932 gegen Remarques Im Westen nichts Neues (1928) positioniert hatten. Remarque hatte Beklommenheit ausgelöst und mit der Darstellung des Kriegs als einer Erfahrung, die psychologisch verheerte, ein Tabu berührt. Die Produktion, die sich im rechten progressiven Spektrum wenig später gegen Remarque aufgebaut hatte, hatte dem Krieg nichts des Grauens genommen, das ihn nach Remarque kennzeichnete. Autoren wie Ettighoffer und Thor Goote überboten Remarque eher, wenn es um die schonungslose Darstellung von Kampfszenen ging — sowohl in der geschilderten Grausamkeit wie in der Suche nach einem persönlichen Erleben des Grauens. Die zukunftweisende Antwort auf Remarque lag im rechten Spektrum indes in einer Haltung, die man fast als proto-Existentialismus bezeichnen kann. Sie brachte Romanhelden hervor, die im Krieg Persönlichkeitsveränderungen riskierten und die sich am wenigsten mit dem Deutschland identifizierten, das sie in diesen Krieg geschickt hatte — Helden, die den Krieg als sinnloses Geschehen wahrnahmen und trotzdem taten, was ihnen aufgetragen blieb, und die in diesem Trotzdem, neuen existentiellen Halt fanden.

 
1936 1937 1937 1938
 

Goote und Ettighoffer hatten sich in den Jahren vor 1933 nicht aufsehenerregend gut verkauft. Im Bertelsmann-Programm wurden sie Erfolgsautoren — das lag zum einen an den veränderten politischen Rahmenbedingungen. Remarque war verboten, seine Konkurrenz entfiel, der Krieg blieb dagegen als Erlebnisraum aktuell. Weit mehr jedoch lag der Erfolg, den Bertelsmann mit den akquirierten Titeln errang, an den Vermarktungsstrategien des Hauses. Bertelsmann war keine politische Institution. Der Verlag, der Romane für den Urlaub und die sommerliche Fahrt ins Grüne verkaufte, bot schlicht Bücher an, die jeder soeben las — Lesern, die auf dem Land leben mochten und womöglich Buchhandlung nur ungern betraten. Die unerschlossene Kundenschicht ließ sich noch weit perfekter ansprechen, wenn der Verlag sie in Umgehung des Buchhandels aufsuchte. Die Bertelsmann-Mitarbeiter, die Fritz Wixforth um sich scharte, kannten sich noch mit dem Vertrieb von Gemeindeschriften aus, dem sie Ende der zwanziger Jahre im Umland den Boden bereiteten. Belletristik kaufte dieses Publikum, wenn überhaupt, von Reisevertretern, die sich auf Dörfern von den Pfarren die Namen der potentiellen Bücherkunden geben ließen, und bei diesen dann mit dem Angebot kostspieliger, repräsentativer "Schinken" fürs Regal vorsprachen. Man verkaufte diesen Kunden Lexika und Klassiker im Goldschnitt — nichts, was sie wirklich lasen. Die im Handel erfolgreichen Kriegsbücher ließen bei Bertelsmann darüber nachdenken, wieso man sie nicht in einer zusätzlichen Vermarktung eben diesen Lesern auf dem flachen Land verkaufen sollte. Für die Frauen wurden Heimatromane, für die Männer Erlebnisberichte aus dem ersten Weltkriegs in repräsentative Schmuckkassetten verpackt — Titel, die mit guter Wahrscheinlichkeit als Prestigeobjekte gekauft, jedoch als spannende gelesen würden. Bertelsmann stattete Reisebuchhändler mit den neuen Kassetten aus und erreichte 1936 eine Umsatzsteigerung um ein Drittel. Den Markt, den der Buchhandel nicht erreichte, denselben Markt, den das Unternehmen in den fünfziger Jahren mit einer hauseigenen Vertriebsstruktur, dem Lesering, ansprechen sollte, hatte man gefunden.

Das andere Publikumsreservoir wurde mit den NS.-Jugendorganisationen soeben vom Staat aufgebaut. Die Produktion von Kriegserlebnisbüchern fand eine spezifische Werbung, die Erwachsenenbücher an die Jugend absetzbar machte. Eine Zweitvermarktung richtete der Verlag mit der Jugendheftserie Spannende Geschichten ein, die in den zwanziger Jahren als biedere Alternative zu den verpönten Western- und Abenteuer-Heften begründet worden war, und die an den Kiosken auf die ihre Kunden warteten. Mit Märchen und Sagen hatte man die Jugend nicht erreicht. Mit Kriegserlebnissen, verkauft unter bunten Titelblättern von Explosionen, Wasserfontänen, vorrückenden Panzern, sich in Gefechte stürzenden Flugzeugen, ließ sich dagegen ein ganz neues Geschäft machen, ein profitables zudem: die Autoren wurden für die 32 Druckseiten einmalig mit großzügigen 500 Reichsmark entlohnt. Das Unternehmen steckte wenig später 20% seines Investitionsvolumens in die Heftserie, die sich in Hunderttausender Auflagen absetzen ließ und zum Objekt der Sammelleidenschaft bei den 12- und 13jährigen wurde.

 

Herstellungskosten 1938

Die Produktsparten in ihren Anteilen an den Herstellungskosten 1938. Vor Beginn des Krieges ist es — zieht man die Produktion Spannender Geschichten und die Buchproduktion zusammen, so summiert sich das Volumen auf fast 75% — vor allem Kriegsliteratur, die der Verlag zur Auslieferung bringt.

 

 

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Hinwendung zur Gegenwart

Bertelsmann vollzog mit der neuen Produktion gegenüber der fast im 19. Jahrhundert verharrenden Produktion von Heimat- und Frauenromanen eine Hinwendung zur Gegenwart — eine Bewegung, der Paul Coelestin Ettighoffer die entscheidenden Impulse gab. In immer neuen Gedenktagen erinnerte das Regime an die Ereignisse des Ersten Weltkrieges — hier lag die Zeit eines Scheiterns, das sich nicht wiederholen durfte, eine Zeit größter Ambitionen der Nation und zudem die Zeit, über die sich die Männer um Hitler öffentlich definierten. Die dem neuen Regime aufgeschlossene Verlagswelt nutzte die nationalen Gedenkmomente, um für sie die passende Produktion in einer Mischung aus Reportage, propagandistischer Aufbereitung und journalistischer Belletristik vorzulegen — die Aufgabe, der sich bei Bertelsmann Ettighoffer als festangestellter Erlebnisreporter annahm. Ob zu Verdun oder zu Tannenberg — Ettighoffer schrieb zum Ereignis 340 Seiten mit Photobeilage. Als Autor blieb Ettighoffer dabei sympathisch, und bescheiden. Er war der Elsässer, der im ersten Weltkrieg um die Anerkennung seiner deutschen Kameraden kämpfen mußte. In seiner Autobiographie der zwanziger Jahre rang er im nächsten Moment um die Anerkennung der Nationalsozialisten der ersten Stunde — die Abenteuer, die er in den Wirren der Weimarer Republik absolvierte, zeigten auch ihn als Kämpfer. Ettighoffer mischte sich, als ihm der persönliche Stoff ausging unter Tippelbrüder, um zu beschreiben, wie für sie das Leben aussah. Er kaufte Manuskripte anderer, denen die schriftstelerische Begabung oder der Kontakt zu einem Verlag fehlte und machte aus ihren Lebensberichten Erlebnisbücher. Im Auftrag des Verlages C. Bertelsmann, bei dem er sich mit einem Monatssalärs anstellen ließ, reißte Ettighoffer schließlich nach Afrika, begleitet allein von seiner Schreibmaschine, seinem Photoapparat und dem geliebten eigenen Auto. Auf den Spuren der deutschen Siedler, die nach dem ersten Weltkrieg den Briten weichen mußten, umfuhr er für So sah ich Afrika die Südspitze des Kontinents stets wach für die britische Machtausübung, die seiner Meinung nach den Herrenstatus der weißen Rassen aufgab, und stets bemüht, den Schwarzen zu zeigen, was ein wirklicher weißer Mann ist: von Natur aus ihr Beherrscher und ihnen geistig überlegen. Sympathisch blieb Ettighoffer seinen Lesern, weil er als Truppenführer vor Verdun wie als weißer Afrikaner 1938 auf der Suche nach Anerkennung blieb, nach Anerkennung wahrer Kriegshelden hier und alteingesessener weißer Afrikaner da, bemüht, hier wie da sich als Kamerad beliebt zu machen.

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Der Ausbau

Akkumulative Statistik der Herstellungskosten: Die große Investition der Jahre 1936-1941 fand fast ausschließlich auf dem Gebiet der Kriegsbücher und der politischen Reportage statt.

 

Bertelsmann investierte 1934 und 1935 mit der erstaunlichsten Risikobereitschaft in das Spektrum an Kriegsbüchern und Reportagen für Jung und Alt, das man soeben erst erwarb und aufbaute. Im Streben nach rationellen Großauflagen wurde in zehn- und bald in zwanzigtausender Schritten aufgelegt. In den Jahren 1936-1939 schoß die Produktion an Auslastungsgrenze. Man druckte im Schichtbetrieb, was die hauseigenen Anlagen hergeben und investierte wenig später in die Produktionsmaschinen. Das ganze Unternehmen wurde 1937 und 1938 umgebaut — mit neuen Maschinen und neuen Räumen für die Belegschaft wurde es unter Heinrich Mohns Planung zum nationalsozialistischen Musterbetrieb umgestaltet. Der Krieg stand dabei nicht nur mit der Produktion im Raum. Heinrich Mohn nahm ihn als bevorstehendes Ereignis wahr. Nach der Krise des Jahres 1938, als nach der Annektionen der Tschechoslowakei der Krieg drohte, sprach Heinrich Mohn vor seiner Belegschaft glücklich darüber, das sein Unternehmen mit seiner Produktion an Kriegsbüchern seinen eigenen Beitrag zur militärischen und geistigen Wiederaufrüstung geleistet hatte. Der Ausbau des Unternehmens schritt voran und selbst und gerade hier mußte für den Krieg gerüstet werden. Mohn konferierte mit den Firmen, die Brandschutztüren herstellten, er machte sich Gedanken über die Luft- und Gasschutzeinrichtungen, derer das Unternehmen im kommenden Krieg bedurfte und er nahm dabei gegenüber den Behörden, die Bertelsmann bei der Vorbereitung auf den Krieg berieten, am Ende kein Blatt mehr vor den Mund: Es gestaltete sich schwierig ein Haus auf den Krieg vorzubereiten, wenn man nicht wußte, wann dieser Krieg beginne. Schließlich sollten da Räume als Lagerfläche benutzt werden dürfen, die im Kriegsfall angeblich sehr rasch für den Luftschutz zu Verfügung stehen mußten — so Mohn am 11.11.1937 gegenüber der Luftschutzbehörde Bielefeld; er konnte über den Kriegsbeginn ja nicht selbst entscheiden.

Zum Unternehmensausbau gehörte, daß die Organisationsstruktur der Produktion angepaßt werden mußte. Für die Betreuung der theologischen Autoren hatte Heinrich Mohn kein Lektorat gebraucht. Hier verhandelte er mit den größeren Autoren direkt, diese wiederum verhandelten als Herausgeber von Reihen und Fachzeitschriften mit den Autoren, die bei ihnen schrieben. Der Verleger war hier vor allem als Geschäftsmann gefragt, der den Reihen- und Zeitschriftenherausgebern mit seiner kaufmännischen Expertise zur Verfügung stand. Günstig hatte es sich beim Aufbau des belletristischen Sortiments erwiesen, daß das Unternehmen kein eigenes Lektorat besaß — kein solches hätte sich so weitgehend auf die Vermarktung konzentriert. Banzhaf, Wixforth und Steinsiek zogen populär vermarktbare Autoren an, nicht unbedingt die Autoren, die ein Lektor von eigener Reputation und literarischem Anspruch angezogen hätte, und sie betreuten diese Autoren ohne Erfahrung fast mit familiärer Herzlichkeit — überliefert ist aus dem Hause Steinsiek, daß Ettighoffer hier nach seiner Rückkunft aus Afrika am Tisch umgeben von der Kinderschar saß und gemeinsam mit dem Vater, der als Missionarssohn auf Sumatra aufgewachsen war, die mitgebrachte Kokosnuß zerlegte. Fritz Otto Busch war später unter den Gästen des Hauses, der Korvettenkapitän a.D., der im zweite Weltkrieg mit aktuellen Kriegsbüchern bei Bertelsmann sein großes Geschäft machte.

Um prestigeträchtige Autoren zu betreuen, benötigte das Unternehmen jedoch einen Lektor mit eigenen literarischen Ambitionen — und solche Autoren mußte das Unternehmen an sich binden, wollte es tatsächlich in die Riege der namhaften Großverlage aufrücken und im Regime die Protektion gewinnen, die die renommierteren Autoren für sich reklamieren konnten.

Heinrich Mohn holte, um die Lücke zu schließen, 1937 Gustav Dessin an Bord, einen Mann aus dem protestantischen Umfeld, der sich selbst als Autor versucht hatte. Seine Position blieb innerhalb des Unternehmens prekär — der Hauptlektor blieb, so sein Briefpapier "Literarischer Mitarbeiter des Verlags C Bertelsmann". Er bezog kein Büro im Verlag, sondern ein eigenes Haus in Gütersloh, das er als Treffpunkt für Autoren seines Geschmacks zu nutzen suchte. Es gelang ihm jedoch, niemand geringeren als Hans Grimm für den soeben noch provinziellen Verlag Mohns zu gewinnen, den Vorzeigeautor des Dritten Reichs. Daß Grimm bislang bei Langen-Müller und damit in einem mittlerweile hoch im Regime angesiedelten Verlag erschien, mußte mit Vorsicht bedacht werden. Bertelsmann begann als der neue Hausverlag Grimms, dem Zentralverlag der NSDAP offensichtlich Konkurrenz zu machen — noch agierte das Unternehmen im Schutz der Provinz, als ein Verlag, von dem man in Berlin und München keine weitere Notiz nahm. Noch war man bei den Zensurstellen vor allem als der theologische Verlag C. Bertelsmann bekannt (das Leitheft Verlagswesen des Sicherheitshauptamtes von 1937, notierte noch nicht, welche Bewegung das Unternehmen seit 1934 vollzogen hatte), noch war nach außen hin kaum sichtbar, daß die Theologie kaum noch Anteil am Geschäft hatte und daß selbst die Heimat- und Frauenromane, die die Werbung bestimmten, nicht das Geschäft bei Bertelsmann machten.

 

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