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C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh

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Kapitel 2: Heimat- und Frauenromane 1928-1950

Die ersten vier Romane, die Bertelsmann 1928 herausbrachte, erschienen, als ob das Unternehmen hier wie jedes Jahre vier Titel diese Zuschnittes vorstellte. Am wenigsten versuchte der Verlag, seine Produktion neuartig erscheinen zu lassen. Zwei der vier Titel — Wilhelm Kotzdes Die liebe Frau von der Geduld und Else Feißels Das Opfer — wurden soeben im Christlichen Erzähler veröffentlicht. Marie Diers' Der Teufelspate und Käthe Papkes Im Unterliegen gesiegt kamen als Neulinge hinzu. Das Signet des "Christlichen Erzählers" schlug die Brücke in die parallele Verlagsarbeit. Alle vier Titel mußten vor allem die weibliche Leserschaft ansprechen, Mütter herangewachsener Kinder, die mit dem Leben schmerzliche Erfahrungen von Verzicht gemacht hatten. Eine strenge deutsch-nationale Orientierung versprach Sicherheit. Die erste Großwerbung für Kotzdes Titel im Börsenblatt ließ mit den beigegebenen Gutachten das Wort "Deutsch" so oft wie nur irgend möglich aufstoßen.

 
 

Die ersten 4 Romane des Verlags C. Bertelsmann, Werbung im 'Börsenblatt' 1928
Die vier Romane des Verlages C. Bertelsmann in Gütersloh 1928
 
Wilhelm Kotzde
Die liebe Frau von der Geduld. Preis geb. M 7.50.

Mit Buchschleife: "Der Grenzlande Not. Schicksalsweg einer vertriebenen Lehrerfamilie." Im Oktober setzt, da das Sortiment sich rege für den Roman einsetzt, eine umfassende Werbung ein!
 
Marie Diers
Der Teufelspate. Preis geb. M 5.50

Eein neuer Roman der bekannten Schriftstellerin von packender Dämonie.
 
Käthe Papke
Im Unterliegen gesiegt. Preis geb. M 6.50

"Wil über dem Niveau allgemeiner Unterhaltungsliteratur stehend,... wird namentlich den Mädchen manch freundliche Stunde bereiten." ("Lese.")
 
Ilse Feißel
Das Opfer. Preis geb. M 5.50

Für stille Menschen geschrieben, traumhaft zwischen zeit und Ewigkeit. Für alle Frauen, insbesondere solche die die Musik liebhaben.
 
Rabatte: Einzeln 35% / 3 Expl. 40% / 10 Expl. 42½% / 20 Expl. 45%
Ferner zwei Kotzde mit 45%
3 Urteile über den neuen Frauenroman von W. Kotzde Die Liebe Frau von der Geduld
 
Mit diesem eigentümlich-feinen Titel wird eines der tiefsten Bücher eingeführt. Der Dichter Deutschlands, der uns die "Burg im Osten", der uns "Wolfram", "Die Pilgerin", "Frau Harke" schenkte, gibt dieses Buch der deutschen Frau. Die edle Schwermut eines Volkes im Leid liegt darüber. Dieser Roman ist eine Ehre für unsere deutschen Frauen. ...Aus deutschem Herzen, aus dem durch deutsches Leid geläutertem Wissen bitte ich meine deutschen Mitfrauen: Lest das Werk von Kotzde, das uns zu eigen gehört." Marie Diers.
 
Unter der Überschrift "Das schönste Frauenbuch der Zeit": Es ist ein Buch für jede deutsche Frau, für jede deutsche Mutter, und darum ist es ein Buch für jedes deutsche Mädchen, und es ist ein Buch für den deutschen Knaben, den deutschen Jungmannen, auf daß sie alle sich die Augen hell baden in ihm und die Herzen reinigen, damit sie aufgeht die junge Saat im umgepflügten Acker. Wer dieses Buch gelesen hat, und ich möchte, daß viele und viele es lesen, der wird, wenn er es tief aufatmend langsam und sinnend schließt, wie ein Gelöbnis mit dem Dichter sprechen: "Wir aber wollen abermals einen eisernen Reifen um unsere Herzen schmieden, und danach an unser Werk gehen!" Dr. Krannhals, Mannheim.
 
"Zu den schönsten und tiefsten Schöpfungen Kotzdes gehört dieser Roman. Der Dichter zeigt sich hier als ein feiner Kenner der Frauenseele. Er rührt mit dem Takt des gereiften Führers der Jugendbewegung an die wichtigsten Probleme unserer aufgewühlten Zeit und zeigt uns, wie in dem mit dunklen Nächten ringenden deutschen Menschen das Reine und hohe den Sieg davonträgt." Heinrich Guitberlet.
 
C. Bertelsmann / Verlag in Gütersloh

Werbung des Verlags C. Bertelsmann im Börsenblatt vom 29. September 1928

 

Wilhelm Kotzde ragte mit dem Selbstanspruch des Führers der Artamanen aus der Autorenriege heraus. Mit heftigen Attacken auf Frankreich zog sein Roman Profit aus dem Sentiment der gedemütigten Nation. Eine aus dem Elsaß nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg vertriebenen Lehrerfamilie findet im Badischen neuen Halt. Der Vater des Hauses erkrankt und stirbt früh, die Mutter und Titelheldin wird über dem Schicksal der problematischeren ihrer Töchter zur Seherin — die Tochter endet verführt, geschwängert und alleingelassen, ein Schicksal, das die Mutter nicht überlebt und das Kotzde wiederum mit dem Motiv der Orientierungslosigkeit der Nation verbindet: der junge Mann, der sie schwängerte, hat selbst nicht das reine arische Erbgut, das ihn, so die Implikation des Romans, zu einem steteren Charakter gemacht hätte, und treibt in den politischen Wirren der zwanziger Jahre dahin. Der Sohn des Hauses hingegen wird am Ende als von der deutschen Gotik inspirierter zukünftiger Baumeister zum Hoffnungsträger des Neubeginns und der nationalen Wiedergeburt — eine kleine Huldigung des Autors an seinen eigenen Sohn, der soeben die Karriere des jungen Hoffnungsträgers als Schüler der Freiburger Münsterbauhütte machte.

Der Verlag druckte kleine Auflagen: 6.000 Exemplare von Kotzdes Roman (weitere 3.000 wurden 1929 nachgeschoben). Bei Else Feissels Opfer entschied man sich für 3.000 Exemplare, die dann sehr schlecht abgingen. 5.000 Exemplare räumte man Marie Diers, ein (1932 ließen sich hier noch einmal 3.000 Stück nachlegen). Käthe Papkes Im Unterliegen gesiegt brachte man in derselben Auflagenhöhe heraus (hier wurden 1933 weitere 5.000 Exemplare nachgereicht).

Der Absatz lief schleppend, die Produktion machte Verlust. Größeres Glück hatte man jedoch 1929 mit Gustav Schröers Roman Heimat wider Heimat der nach 1933 zum erfolgreichsten Titel des gesamten Programms an Heimat- und Frauenbüchern wurde. Bis bis 1952 ließ sich der Titel in über 719.000 Exemplaren auf den Markt bringen. Die Handlung spielte in einem gemütvollen und humorigen 19. Jahrhundert. Mit der Schilderung des kleinstädtischen thüringischen Ziegenbrück, in dem Schröer seinen Helden, einen wandernden friesischen Uhrmachergesellen, Wurzeln schlagen ließ, hatte der Autor so wenig Probleme wie mit den Bildern der "Hundetürkei", des von Altertümern überbordenden Haushaltes, in dem der junge Held aufging: All dies sollte sich der Leser vorstellen wie von Spitzweg gemalt. Der erbenlose Uhrmacher Hempel nimmt den jungen Gesellen auf, dieser bringt das Geschäft auf Vordermann und verliebt sich am Ort. Eigenartig durchmischt zeigt sich die Idylle jedoch, als die herbe Mutter des Helden aus Friesland nach Thüringen kommt und den Sohn auffordert, in ihre Heimat zurückzukehren. Im Konflikt mit der Mutter entscheidet der junge Held sich für Thüringen — wie sich herausstellt viel tiefer seine Heimat: Die Mutter muß schließlich offenbaren, daß sie einst den Vater des Helden von Thüringen nach Friesland zog, wo dieser, seiner Heimat entrissen, zugrunde ging. Die Heimat des unbekannten Vaters zog den jungen Gesellen nach Thüringen. Blut und Boden-Mythologie durchwebt, ohne daß dies weiter angesprochen ist, den Roman, der im Duktus am ehesten nach Gottfried Keller klingt.

Schröer wurde Bertelsmann-Autor, seine Zeitschrift Die Pflugschar ging 1932 im Christlichen Erzähler auf. Seine Romane formten bald das junge Programm mit ihrer Spannbreite vom humorigem Realismus des 19. Jahrhunderts zum politischen Engagement der Landvolk-Bewegung. Eine Verwurzelung in der evangelischen Kirche machte ihn zusätzlich für Bertelsmann attraktiv. Mit dem Gütersloher Unternehmen bewegte er sich wenig später in den Nationalsozialismus, der eine ganz eigene Rückkehr zu alten Werten der agrarischen Gesellschaft predigte — vor allem aber die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen beendete, die Schröer in den politischeren seiner Titel der zwanziger Jahre, wie Das Land Not (zuerst 1927 bei der Hanseatischen Verlagsanstalt erschienen, bei Bertelsmann in zwei Auflagen noch einmal 1933 nachgelegt) beklagt hatte.

Schröers Raum war Thüringen. Schriftsteller aus anderen Gegenden des deutschsprachigen Raums kamen hinzu: Auguste Supper vertrat den Schwarzwald, Otto Brües den Niederrhein, Alfred Manns das Niedersächsische, Ernst Zahn und Gustav Renker führten in die Alpen. Leser "aller Stämme" sollten sich bei Bertelsmann gut aufgehoben fühlen.

Das Publikum blieb vordringlich weiblich und an Familiengeschichten interessiert. Romane um Liebe und Konflikte, die Mütter mit ihren Kindern austrugen, gaben den Ton an. Die Konfliktlösungen blieben im Spannungsfeld einer konservativen Selbstbescheidung. Die Helden fanden sich in die Leben, die das Schicksal ihnen vorherbestimmte, oder scheiterten daran, sich in solcher Bescheidenheit zu üben. Bertelsmann blieb weit davon entfernt, in diesem Feld steile Karrieren, Ausbrüche in andere Welten, Kriminalromane oder gar Zukunftsromane zu verlegen. Die Großstadt blieb ausgespart. Erschienen in Berlin Angestelltenromane von Warenhausmädchen, die in der Großstadt zugrunde gingen oder ihre Chefs heirateten, so erschienen in Gütersloh allenfalls die Romane Fritz Müller-Partenkirchens, der mit seinen kauzigen Helden das Kontor des 19. Jahrhunderts verewigte. Eine eigene Moderne fand Bertelsmann in diesem Feld gerade noch mit Lise Gasts Romanen vom neuen Mutterdasein. Die spätere Landwirtschaftslehrerin Elisabeth Richter legte mit den beiden Titeln, die sie unter dem Pseudonym veröffentlichte, Muster der vom Nationalsozialismus eingeforderten optimistischeren Stimmungslage vor, in der Frohsinn, Lebensbejahung und Kraft durch Freude über alle Widrigkeiten der neuen Zeit siegten.

 

 

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Ressortübergreifende Teamarbeit und die Suche nach dem Massenmarkt

Wichtiger als die Titel wurden die Vermarktungsstrategien. Das Unternehmen hatte sich mit dem Design des Christlichen Erzählers, der aus gütiger altväterlicher Warte das gediegene Buch vorlegte, in das Romangeschäft gewagt. Man gab dieses Design noch 1930 auf. Es blieb unklar, wohin man gehen sollte. Sollte man Schröer moderner vermarkten, mit weniger Schrift und mehr Fläche in den Anzeigen, mit einem Geruch von Bauhaus und neuer Sachlichkeit? Dergleichen wurde soeben allerorten ausprobiert. Oder sollte man stattdessen in schweren Frakturbuchstaben einen Geschmack von Heimat- und Bauernkunst verkaufen? Der Hausgraphiker Siegfried Kortemeier experimentierte im Börsenblatt, bevor Fritz Wixforth 1933 den Kurs klarer bestimmte: Auf einer Vertreterfahrt durch Thüringen war er durch Orte gekommen, die ihn inspirierten. Man mußte dieses Biedermeier riskieren und ihm dabei einen Touch von Gegenwart geben — Ziegenbrück gab es noch immer, sobald man in die Provinz fuhr. In enger Kooperation des Vertriebs und der Graphikabteilung entstand das Konzept für die Vermarktung von Heimat wider Heimat in der billigeren Volksausgabe. Heinrich Mohn schrieb später, 1941, daß an dieser Stelle etwas Neues in seinem Unternehmen geschah: Die ressortübergreifende Arbeit verstörte zuerst den Graphiker, der sich nur sehr ungern von Leuten des Vertriebs Vorgaben machen ließ. Die Erfolge, die das Unternehmen mit dem neuen Design einfuhr, motivierten dann jedoch die Beteiligten, in der ressortübergreifenden Arbeit fortzufahren.

   
 
 
 
 
 
Werbung für die verbilligte Volksausgabe von Gustav Schröers Heimat wider Heimat
 
Herausnehmbares Plakat aus dem Börsenblatt vom 30. Mai 1933.
  Werbung für Gustav Schröers 'Heimat wider Heimat' im 'Börsenblatt'

Fritz Wixforth avancierte zum "Bürochef". Die ranghohen Mitarbeiter besprachen mit ihm Projekte. Wer Ideen hatte, erhielt freie Hand, für diese Werbung, Vertrieb, Autorenwahl planen zu dürfen. Johannes Banzhaf nutzte die Chance 1934 mit der Eröffnung der Kriegsbuchproduktion, die das gesamte belletristische Programm schließlich in die Gewinnzone fuhr. Bis zu seiner Einberufung zum Kriegsdienst im August 1939 trafen die führenden Mitarbeiter sich schließlich Sonntag vormittags bei Wixforth privat zum Kaffee, um die Arbeit der Woche und die Projekte jedes einzelnen zu besprechen.

Bertelsmann entwickelte Rundum-Konzepte für den Handel. Der Buchhändler erhielt einzelne Titel in größeren Mengen und ein großzügiges Rückgaberecht für den Fall, daß er sie nicht alle verkaufte. Das Unternehmen stellte zum Buch die komplette Schaufenster-Werbung zur Verfügung: Großflächige Plakate, die einem einzigen neuen Titel des Hauses galten, der im "Sonderschaufenster" in Stapeln präsentiert wurde. Ein Photo gab dem Buchhändler Anweisung, wie das Plakat und die Bücher auszustellen waren: Alles sollte suggerieren, daß dieses Buch soeben in großer Menge abging. Wer nie eine Buchhandlung betreten hatte, sollte das Gefühl bekommen, daß jeder andere es für dieses Buch tat. Eine andere Rechnung blieb mit den Buchhändlern und der Konkurrenz zu machen: Im Schaufenster, das Bertelsmann gestaltete, stand kein Konkurrent. Das Risiko für den Buchhändler blieb gering. Der Verlag nahm nicht verkaufte Exemplare zurück. Das Konzept ging auf. Bertelsmann stieg vom Provinzverlag zum Anbieter von Massenware auf.

Die Heimat- und Frauenromane testeten dabei letztlich nur das Terrain aus. Bertelsmann-Kriegsbücher machten nach 1934 das große Geschäft. Die Produktion der Heimat- und Frauenromane stagnierte nach 1934. Erst die Vermarktung Schröers und seiner Kollegen in Feldausgaben — in der Heimat zu kaufen und den Soldaten ins Feld zu schicken — ließ die Sparte gegenüber den Kriegsbüchern nach 1939 wachsen. Mit dem Zweiten Weltkrieg kam die Rohstoffverknappung als verkaufsförderlicher Faktor hinzu. Immer mehr Konkurrenten verabschiedeten sich nach 1940 von einem Markt, den Bertelsmann als Unternehmen zu beherrschen begann, das sich kühn mit Papier eindeckte, im Ausland druckte, und das dank guter Beziehungen ins Propagandaministerium zudem mit Druckgenehmigungen, Papierverbrauchsgenehmigungen, bestens versorgt blieb.

 
1938 1938 1939 1941
 

Was schwerer als der Geschäftserfolg wog, wenn es galt, die weitere Bedeutung der Frauen- und Heimatromane im Angebotsspektrum zu bewerten, das war das Image, das diese Titel Bertelsmann verschafften. Das Unternehmen, das mit Kriegsbüchern nach 1936 zum Marktgiganten aufstieg, hielt sich in der Öffentlichkeit mit derselben Produktion zurück, und das dürfte ein doppeltes Kalkül gehabt haben. Zum einen hatte das Management zwischen Kotzde und Schröer — von 1928 bis 1933 — gelernt, daß es politischere Titel besser nicht zu ostentativ als solche bewarb. Attraktiv war der Verlag, der in der Freizeit beglückte, in den Urlaub begleitete, der in der Ferne — ob an der Front oder in der Stadt — an die Heimat und an Deutschland als agrarsches Gebilde denken ließ. Stalling in Oldenburg oder Eher in München gaben sich dezidiert politisch. Bertelsmann offerierte seine Kriegsbücher in den Firmenillustrierten, die zwei Mal im Jahr die Produktion vorstellten, und in der Börsenblatt-Werbung unter den Bildern der Heimatromane geborgen. In der Konkurrenzsituation, die der ostwestfälische Provinzverlag mit Wurzeln im Protestantismus im selben Moment tatsächlich auf dem politischen Terrain der Zeitgeschichte und ab 1939 der aktuellen Kriegsberichterstattung gegenüber dem Zentralverlag der NSDAP riskierte, blieb Bertelsmann als Verlag schlichter Heimat- und Frauenromanen so unauffällig wie nur irgend möglich. Heinrich Mohn wand sich 1941, als die Frage der Kriegsgewinnabführung auf sein Unternehmen zukam, in Versuchen, sein eigenes Haus als Haus der Heimat- und Frauenromane zu verkaufen, wie wenig dieses Bild zu diesem Zeitpunkt auch noch galt.

 

   
 
 
 
 
 
Werbung für Bertelsmann Volksausgaben
 
aus dem Börsenblatt heraustrennbares Beiheft mit der Produktion des Sommers 1937 vom 14.7.1937
 

 

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