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Gustav Dessin an Gerhard Steinsiek über Berlin-Besuch für Bertelsmann
Gütersloh, 17.5.1943

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ViereckTranskript: Olaf Simons, 2004

Einordnung

Das Dokument gibt wie kaum ein anderes Einblick in den Kontakt, den Verlage während des Zweiten Weltkriegs zum Propagandaministerium gutberaten unterhielten. Der Bertelsmann Verlagslektor Gustav Dessin schreibt dem auf Kur befindlichen Gerhard Steinsiek, der als Schwager des Firmeninhabers Heinrich Mohn die Geschäfte im Unternehmen praktisch leitet, von seinem jüngsten Berlin Besuch.

Das Unternehmen stand im März 1943 überraschend auf den Schließungslisten die im Propagandaministerium ausgearbeitet wurden. Eine Intervention des Unternehmens im Propagandaministerium wendete die Schließung ab — hilfreich war hier das Arrangement das Will Vesper bei Staatssekretär Gutterer in Anschlag brachte (und dessen Details wenig später mit dem Gaupropagandaamt in Münster ausgehandelt wurden). Bertelsmann gliederte seine Theologische Abteilung in den 1939 erworbenen Verlag der Rufer aus, dieser wurde geschlossen, das Stammhaus, mittlerweile vor dem Zentralverlag der NSDAP der bedeutendste Lieferant von Feldpostbüchern konnte fortproduzieren. Vesper ließ bei seinem Vorstoß bei Gutterer durchklingen, daß es hier um die Schließung eines alten theologischen Verlagshaus ging. Dessin munkelte gegenüber Hans Grimm "Anscheinend sind aber bestimmte Kräfte am Werk", um die Ausschaltung des Unternehmens zu erreichen. Man mag diese Kräfte in Anbetracht der guten Beziehungen, die das Unternehmen zum Propagandaministerium hegte und, mehr noch in Anbetracht des Narvik-Zensurfalls auf Seiten des Zentralverlags der NSDAP vermuten.

Erstaunen müssen die Arrangements, die der Verlag mit Erckmann besprach. Da werden Verlagerungsanträge — Anträge zum Druck im Ausland — am langwierigen Behördenweg vorbei eingereicht. Erstaunlicher noch: Da bittet Erckmann Dessin zum dritten Mal darum, daß das Gütersloher Unternehmen für ihn, den "Papierpapst" im Propagandaministerium, auf dem Schwarzmarkt in den besetzten Niederlanden illegal Papier erwirbt, das er dann wiederum Verlagen seiner Wahl zukommen lassen kann — gegen Bertelsmann wird ab dem 28. August 1943 unter anderem wegen des illegalen Erwerbs von Papier ermittelt werden und Erckmanns Initiative wird in diesem Zusammenhang undurchsichtig bleiben. Johannes Banzhaf wird in den Verhören zu einem Papierkontingent, das er ohne Wissen des Verlags C.  im Unternehmen einlagerte, erklären, es sei dies das das für Erckmann beschaffte Volumen.

Eine neue Intrige — wie man mutmaßen kann des Zentralverlags — brachte eine eine neue Regelung auf, nachdem in Zukunft Lizenzausgaben von Büchern einer spezieller Genehmigung bedürften. Die Initiative bedroht insbesondere die Produktion von Feldpostausgaben bei Bertelsmann.

Hans Grimm ist ein Thema — der Autor veröffentlichte 1938 erstmals bei Bertelsmann und arbeitet seitdem an seinem Mammutwerk Heynade und England, das nicht mehr veröffentlich werden wird. Den Übertritt seines gesamten Werkes zu Bertelsmann hat man bislang aufgeschoben — vor allem um glimpflich mit dem Verlag Langen/Müller auseinander zu kommen, der Grimm bislang verlegte, und mittlerweile zum Konsortium des Zentralverlags gehört.

Buchprojekte finden Erwähnung: Heinz Papes zweites Buch bei Bertelsmann Panzerflieger über dem Balkan. Die Vernichtung Jugoslawiens — Der Sieg in Griechenland. Das Buch sollte mit dem Publikationsjahr 1943 erscheinen — die hausinternen Herstellungslisten vermerken den Druck für 1944. Dessin besucht Fritz Otto Busch, dessen Narvik Buch 1941 in den Auseinandersetzungen zwischen der PPK und der RMVP in die Schußlinie geriet, und dessen Bruder die erwähnte Jagd im Atlantik. Unterseeboots-Kriegsberichte bei Bertelsmann 1943 veröffentlichen wird (mit Verspätung des Produktionsvorgangs — das Imprint wird 1942 als das Publikationsjahr ausgeben).

Dessin besucht zudem Intellektuelle, Schriftsteller und Journalisten seiner persönlichen Wertschätzung: August Winnig, A. O. Meyer, Beda Prilipp. Befriedigt resümiert er, daß das Unternehmen dank seiner Arbeit mittlerweile nicht mehr zu den provinziellen Verlagen gehört, mit deren Namen sich in Berlin nichts verbindet.

Eine leise Ahnung gibt das Dokument davon welche gewaltige Koordinationsarbeit im Propagandaministerium auf dem Höhepunkt des Krieges geleistet wurde — die Koordinationsleistung einer Planwirtschaft die zwischen privatwirtschaftlichen Unternehmen, Wirtschaftsämtern, dem NSDAP Medienkonzern und der Wehrmacht als nun wichtigsten Buchkunden Interessen aushandelte.

Dokument

Bertelsmann Archiv: I.2/1001

Herrn Mohn
17.5.1943   

 

Herrn
Gerhard Steinsiek,
Z.Zt. Velden am Wörther See
Hotel Mößlacher

 

Lieber Herr Steinsiek,

auf Wunsch von Herrn Mohn will ich Ihnen heute über die Ereignisse meines letzten Berliner Aufenthaltes berichten.

Besuch bei Dr. Erckmann. Der ursprünglich hierfür vereinbarte Termin konnte nicht eingehalte werden, Da Dr. Erckmann über die Maßen mit Besprechungen "blockiert" war. Ich hatte selber Gelegenheit, seine außerordentliche Inanspruchnahme festzustellen, denn während eines mehrstündigen Wartens im Vorzimmer der Abteilung Schrifttum erlebte ich immer neue Anstürme auf ihn mit. Da er gleichzeitig in einer großen Besprechung bei Herrn Hägert festsaß, mußte er mich schließlich auf einen anderen Tag bitten. Ich war dann am vergangenen Mittwoch bei ihm und konnte, abgesehen von zahlreichen Unterbrechungen durch Telefonate, recht eingehend mit ihm sprechen. Dabei beklagte sich Dr. E. recht offen über das Ausmaß der auf ihm lastenden Arbeit und über den Mangel an Mitarbeitern.

Zunächst sagte mir Dr. Erckmann, daß unsere Verlagsangelegenheit nunmehr positiv entschieden sei. Bertelsmann werde nicht geschlossen – unter der Voraussetzung künftiger Beschränkung auf kriegswichtige Aufgaben (siehe Münster). Der Rufer-Verlag würde geschlossen. Dr. E. fügt hinzu, diese Entscheidung sei wesentlich durch den Beistand des Gauleiters zustandesgekommen.

Ich überreichte Herrn Dr. E. dann die umfangreiche Mappe mit unseren seit Januar ruhenden Verlagerungsanträgen und bat um ihre Bearbeitung außer der Reihe. Dr. E. nahm die Anträge zu meiner Freude entgegen und meinte, der zuständige Sachbearbeiter der Wirtschaftsstelle, dem wir sie ja eigentlich zunächst hätten einreichen müssen, würde noch am selben Nachmittag zu ihm kommen und dann könnten sie alles gemeinsam durchgehen. Ich bat um jede mögliche Beschleunigung.

Dr. Erckmann fragte danach – insgesamt nun zum dritten Male – nach dem von ihm erbetenen Papierquantum. Ich kündigte Herrn Banzhafs nahe bevorstehenden Besuch in dieser Sache an. Dr. E. deutete mir nun auch an, wofür er das Papier wünsche, nämlich um gewissermaßen hier und da eine Art Ausgleich vorzunehmen gegenüber solchen Verlagen, die bisher wenig oder keine Gelegenheit zu einer Verlagerung hatten. Es handelt sich also um eine Geste der Großzügigkeit von unserer Seite. Es ist dringend geboten, Herrn Dr. E. hierin zu unterstützen! (Soeben habe ich Herrn Banzhaf für Samstag bei Dr. E. fernmündlich angemeldet).

In gewissem Zusammenhang damit kamen wir auf die Frage der Lizenzen zu sprechen. Die Einführung der Genehmigungspflicht für Lizenzen, auch die so ganz beiläufige Äußerung Herrn Hägerts vermuten, daß hier ganz bestimmte Vorbehalte bestehen. Die Aussprache mit Dr. E. ergab nun, daß wir uns vorerst überhaupt jede Lizenzausgabe, auch im Feldpostschrifttum, versagen müssen. Sie können sich denken, daß ich nachdrücklich für unsere Arbeit auch auf diesem Gebiet eingetreten bin. Ich habe auch das Gefühl, als habe weniger das Ministerium, als der eine oder andere fremde Verlag daran Anstoß genommen. In jedem Falle können wir jedoch nicht umhin, die Folgerungen daraus zu ziehen.

Endlich konnte ich mit Dr. E. recht ausführlich über Hans Grimm sprechen. Er schien bereits davon unterrichtet zu sein, daß der Übergang nunmehr stattfinden soll, und bestätigte mir, daß wir selbstverständlich Papier erhalten würden – allerdings nicht für sämtliche Werke auf einmal, aber das hat ja wohl auch niemand erwartet. Wir sollen also Anträge stellen. Mit Hans Grimm werden wir überlegen müssen, welche Bücher wir zunächst dafür auswählen. "Volk ohne Raum" wird gewiß an der Spitze stehen. – Herr Dr. E. interessierte sich auch für das kommende große Buch, und ich konnte ihm allerlei Hinweise geben. Wiederum gab er mir einen wichtigen rat für den nach Fertigstellung des Manuskriptes am besten einzuschlagenden eg. Näheres darüber mündlich. – –

Herrn Dr. Schlösser, den ich auch wegen des Pape Manuskriptes zu sprechen hätte, habe ich noch einmal für seine Anteilnahme an unserer Sache gedankt. er wies diesen Dank sehr freundlich zurück mit dem Bemerken daß er ja leider nur zu wenig habe tun können. Ich sagte ihm schon sein wiederholtes Eingehen auf mich hätte in den tagen und Wochen viel bedeutet, und außerdem hatte er mich ja in dem direkten Schritt beim Gauleiter bestärkt. –

Beim Werbe- und Beratungsamt war ich kurz wegen der "Heimkehr" von Fr. Franz von Unruh. Die Sache war nicht ganz klar. Das Amt versprach baldige Klärung und Benachrichtigung.

Herrn Oberst von Fölkersamb unterrichtete ich über den Schritt des Herrn Konteradmiral Voß bei Reichsleiter Bormann. Wir können dem Admiral wirklich sehr dankbar sein für sein Eintreten! Wie sehr er sich für uns interessiert, erhellt u. a. aus der Tatsache, daß er sich bei dem Kapitän recht eingehend nach mir und nach meiner Arbeit innerhalb des Verlages erkundigt hat.

Ferner besprach ich mit dem Kapitän die Korrektur "Jagd im Atlantik" seines Bruders Harald. Der Kapitän schloß sich unserer Meinung voll an und sagte, wir sollten auf seine Verantwortung nur das Allernötigste ändern und Harald Busch damit vor die vollendete Tatsache stellen. Ich habe inzwischen das ganze Buch durchgearbeitet und die mir wesentlich scheinenden Berichtigungen für unsere Setzerei besonders angemerkt.

Endlich bittet Busch gelegentlich um genauen Nachweis seines Honorarkonto-Standes; er hat wieder allerlei Steuernöte usw.

Ein Besuch bei August Winnig war wieder besonders erfreulich. Ich berichtete ihm zunächst von Hans Grimm. (Es war ja eine alte Abrede zwischen den beiden, daß Winnig auch dorthin gehen wollte, wohin Grimm mit seinen Büchern ginge. Aus allerlei Gründen ist die Entwicklung anders gelaufen, und vielleicht hat das auch sein Gutes gehabt, wenigstens für den Augenblick.) Winnig steht zu Herrn Ziegler, der ihn häufig besucht in einem besonderen Vertrauensverhältnis, und wenn mein persönliches Verhältnis zu Winnig gewiß heute nicht weniger eng ist, so sieht er in Herrn Ziegler doch wohl mehr seinen Verleger. Winnig hat mich ja auch einmal – vor Jahren direkt gefragt, wie weit meine Vollmachten bei C. Bertelsmann gingen. – Natürlich habe ich mich auch diesmal wieder nach den geplanten größeren Arbeiten erkundigt. August Winnig hofft, nach einer sommerlichen Kneippkur wieder ans Schreiben zu kommen. Ich bat ihn vor allem um einen Beitrag für unsere Feldpost-Reihen, gerade auch unter dem Gesichtspunkt der hinfort zu vermeidenden Lizenzen. – Schön war übrigens, daß ich Winnig Grüße von Prof. A. O. Meyer ausrichten konnte, den ich unmittelbar vorher besucht hatte. Es ist immer wieder bemerkenswert, wie sich solche Männer von Rang untereinander kennen und in ihrer Arbeit verbunden fühlen.

Prof. A. O. Meyer. Der Besuch bei ihm war mir ein besonderes Erlebnis. Ich hatte die nicht gerade angenehme Aufgabe, ihm verständlich zu machen, daß wir seine Bismarckbrief-Sammlung in der vorliegenden Fassung nicht herausbringen können. Er zeigte dafür Verständnis, nachdem ich ihm unsere Verlagsentwicklung geschildert hatte. Zu Änderungen war er nicht bereit. Mit Recht meinte er, als Herausgeber des Buches "Bismarcks Glaube" keine andere Auswahl treffen zu können; wir hätten und dann eben nicht an  i h n  wenden dürfen. Dies gestand ich ihm ohne weiteres zu und bat ihn gewissermaßen um Verzeihung. Er gewährte sie sehr gern, und wir hatten dann eine schöne Stunde des Austausches über die verschiedensten Dinge. Er steht dem Hause Bismarck sehr nahe und arbeitet an seiner großen Bismarckbiographie, die wohl nur er noch in Deutschland schreiben könne. Ich sagte, [das] Hingegebensein an ein solches Werk erinnere mich an Hans Grimms angestrengte Arbeit an "Heynade", da kam heraus, daß er auch mit Hans Grimm in Verbindung steht. Mit Oswald Spengler, den er sachlich z. T. ablehnt, hat A. O. Meyer jahrelang in München im selben Hause gewohnt und war mit hm menschlich sehr befreundet. Sogar unseren Autor Weber-Krohse hat Meyer einmal bei sich gehabt, ohne freilich ein positives Verhältnis zu ihm und seinen Arbeiten finden zu können. – Ich habe das Manuskript Meyer "zu treuen Händen" nach Gütersloh mitgenommen, und wir wollen abwarten. A. O. Meyer, der Ordinarius für neuere Geschichte in Berlin ist, hofft auf spätere Möglichkeiten einer Herausgabe, wenn auch vielleicht nicht als Feldausgabe. Zum Schluß zeigte er mir haus und Garten und lud mich sehr freundlich zu wiederholtem Besuch ein.

Endlich habe ich noch eine gelegentliche Mitarbeiterin am "Frohen Leben" (und übrigens auch an meiner Geschichtensammlung "Bei Nacht und Tag"), Frau Beda Prilipp, besucht. Sie ist mir als bekannte Berliner Journalistin (Kreuz-Zeitung, Deutsche Zeitung, Berliner Lokal-Anzeiger) seit Jahrzehnten bekannt. Frau Prilipp hat einige Male Bücher unseres Verlages besprochen, und ich habe ihr nun alle Feldpostausgaben geschickt. Ein Artikel darüber – naturgemäß in der heute gebotenen Kürzer – ist für den Lokal-Anzeiger (in dessen Schriftleitung Frau Prilipp sitzt) bereits im Satz. – Außerdem habe ich mit Frau Prilipp über die Herausgabe einiger ihrer Novellen als Feldpostbändchen gesprochen. Ein Manuskript wird wohl in Kürze bei uns eintreffen. – Derartige Verbindungen sind für uns sehr wichtig, ich möchte sie nach Möglichkeit gerne noch ausbauen.

Damit dürfte ich das Wesentliche berichtet haben. Einzelheiten, die sich bei den verschiedenen Besuchen und Gesprächen ergaben, darf ich Ihnen später einmal mündlich erzählen. Wenn ich an die Zeit vor dem Kriege zurückdenke, so ist der Fortschritt, den wir hinsichtlich der Verbindungen zu amtlichen Stellen, z Presse und Schrifttum und überhaupt zur Öffentlichkeit gewonnen haben, augenfällig und dürfte manche Erschwerung auf anderen Gebieten aufwiegen. Es kommt nur darauf an, gerade jetzt das Richtige zu tun und Falsches zu vermeiden. Weitere Kreise sind auf uns aufmerksam geworden, und nicht wenig wird von uns erwartet.

Sehr bald will ich wieder nach Münster fahren, vielleicht zusammen mit Herrn Wixforth, um dem Gaustabsleiter Bertelmann unsere Stiftung für die Verwundetenbetreuung anzutragen und um auch noch einmal bei Dr. Thüsing wegen der U-K-Stellungen nachzufragen. – Anfang Juni beabsichtige ich der sehr herzlichen Einladung Will Vespers zu einem nicht gar so kurzen Aufenthalt in Traingel zu folgen. meine Kur in Bad Liebenzell ist leider vorderhand unmöglich geworden, da ich ja den Termin nicht einhalten konnte und über die Zimmer nun bis zum Herbst verfügt ist. –

Ihnen wünsche ich dort schöne und ruhige Tage voller Erholung, und ich grüße Sie, auch im Namen meiner Frau,

herzlich
    I h r
              D.


Ende